Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Joyce - Biankas Beiträge in der Zeitschrift Joyce - Ein Zimmer für mich allein 



Als Mädchen hatte ich ein eigenes Zimmer - klein aber mein. Hier stand mein Bett, mein Schrank, mein Bücherregal, mein Schreibtisch, später mein Schminktisch. Meine Fotos, meine Pflanzen, meine Tapete, mein Chaos, mein …
Einziges Manko: Meine Mutter behielt sich lästigerweise ein gewisses Mitspracherecht vor. Und: Es gab keine Garantie, dass nicht doch ein Geschwister- oder Elternteil unangekündigt bis unerwünschterweise seine neugierige Nase reinstreckte, störte, stöberte oder „borgte“.

Der Weg zurück zum eigenen Zimmer …

Eines Tages zog ich aus, in ein neues Reich mit meinem Schatz. Obwohl ich ja nun mehr Platz hatte denn je zuvor, begann das Teilen. Nun war alles gemeinsam. Dann vermehrten wir uns. Wir rückten zusammen und zurück, damit unser Nachwuchs Raum fand, sich zu entfalten, zuerst in mir drin, dann um uns herum. Die kleinen Nachrücker wurden mehr, größer und omnipräsent und belebten bald jede Nische unseres Wohnraums.

Irgendwann, fast unmerklich,  begann es mir an Eigenraum zu fehlen. Ich hatte ja noch Glück und durfte inzwischen ein ganzes kleines Haus gestalten, sogar ein Gärtchen. Abstimmung und Kompromissbereitschaft mit meinen Mitbewohnern waren dabei immer notwendig. Dass mir etwas fehlte, wurde mir erst bewusst, als wir auch den letzten Winkel unseres Häuschens ausgebaut hatten und ich plötzlich die Chance witterte, ein eigenes Zimmer zu bekommen - die Speisekammer! Ein winziges Nordzimmer zwar, aber ein Schreibtisch, Regal und Sessel passten hinein. Während ich anfangs hier ungestört Wäsche zusammenlegte und den Papierkram erledigte, unternahm ich später meine ersten Schreibexperimente. Aber hastduesnichtgesehen vermehrten wir uns ein unerwartetes Mal erneut und das Kämmerchen wurde zum Refugium unseres Jüngsten. Er brauchte schließlich ein eigenes Zimmer! Es sollten noch einmal anderthalb Jahrzehnte verstreichen, bis sich eine neue Gelegenheit ergab: Anna zog in ihr neues, gemeinsames Reich mit ihrem Schatz …

Auch mein Schatz spürte nach so vielen Jahren intensiven Familienlebens tief innen den Wunsch nach einem Raum für sich allein. Wir machten uns an die Arbeit. Schon längere Zeit hatten sich unsere Schlafgewohnheiten auseinander entwickelt. Schatz wurde lauter, ich sensibler. Oft schlich ich nachts wie Linus mit der Decke durchs Haus auf der Suche nach einer ruhigen Schlafstätte.

Unser kleines Schlafzimmer wurde nun Werners Zimmer. Er strich die Wände in Mango, kaufte Kleiderschrank und einen Schreibtisch aus weißem Holz, eine kleine Musikanlage. In die Ecke stellte er ein französisches Bett für uns beide. Überglücklich nahm er das Zimmer in Besitz. Dann war ich dran. Annas Zimmer wurde zu meinem. Das verlieh ihrem Auszug eine verheißungsvolle Note.

Das Land einnehmen das meinen Namen trägt

Seither habe ich wieder ein eigenes Zimmer!

Herrlich war es, meine Kleider in den eigenen Schrank zu räumen! Bilder und Texte, die mir gut tun, aufzuhängen, ohne dass sie für Mitbewohner stimmig sein mussten. Dieser Raum durfte meine ganz persönliche Note bekommen. Das galt auch für die Duftnote – während es Werner übel wird von Duftlampen, liebe ich es, einen Raum mit ätherischen Ölen zu aromatisieren, die zu meiner Stimmung passen. Bis ich meinen Traumschaukelstuhl bekomme, steht hier mein alter Sessel mit Muttis nostalgischem Rosenüberwurf, der einzig hier kein Stilbruch darstellt. Und die kitschige Porzellanstehlampe, die so ein warmes Licht spendet. Ich kaufte eine Tagesdecke und Leinenvorhänge in meinen Lieblingsfarben. Hierher passten nun meine Hüte und Kissen, meine Muscheln und Steine und der Kerzenleuchter vom Flohmarkt. Ein alter Koffer vom Sperrmüll wurde zu meiner Schatzkiste.

Hier konnte ich meine ganz privaten Habseligkeiten aufbewahren, meine persönlichen Erinnerungen an meine Kinder, meine Eltern, an Urlaubsorte. Ich filterte alles aus unserem Häuschen, was ganz persönlich mit mir zu tun hatte - die Briefe, die ich beantworten möchte, meine Lieblings-CDs, meine kontemplative Musik, meine Materialien zum Geschenke verpacken. Den Stapel ungelesener Bücher, die Fotosammlung, die darauf wartet, eingeklebt zu werden, die Rezepte, die ich sortieren möchte.

Ich gab meinem Zimmer einen Namen. Im Urlaub fand ich ein Stück Treibholz und schrieb darauf „Bullerbü“, weil dieser Name viel für mich impliziert – schöne Kindheitserinnerungen. Die Ermutigung, nicht zu angepasst und gefällig zu sein, sondern mein Leben fröhlich und kraftvoll in die Hand zu nehmen. Die Erlaubnis, mein inneres Kind zu hegen und zu schützen. Es war als wollte ich meinem Selbst einen Ort geben, wie ich ihn zuletzt als Kind bei meinen Eltern hatte. Wie wichtig war dieser damals für meine Entwicklung  …


Hier bin ich Mensch, hier kann ich sein

Es war eine Revolution! Werner konnte nun in Ruhe fernsehen, ohne dass ihn seine lesen wollende Gattin mit unkompetenten Kommentaren ärgerte. Ich konnte in Ruhe lesen, ohne dass mein fernsehen wollender Gatte mich mit wildem Gezappe irritierte.

Ein eigenes Zimmer zu besitzen fühlt sich einfach nur richtig an. Es gibt mir die Freiheit, Eigenes auszuleben. Es ist ein Refugium, abgegrenzt von der Außenwelt, wo ich mein Gleichgewicht finde. Eine Oase zum Auftanken, Nachdenken, Kräftesammeln, Glücklichsein.
Ein Ort der Ruhe und Geborgenheit, wo ich mich zum Gebet zurückziehen kann, in Erinnerungen schwelgen und meinen Tränen freien Lauf lassen, wenn mir danach zumute ist. Ein Raum der Kreativität, der meine Sehnsüchte und Träume zum Ausdruck bringt.

Hierher ziehe ich mich zum Lesen oder Schreiben zurück, wenn das ganze Haus bevölkert ist. Hier kann ich unbelächelt meine skurrilen Gymnastikübungen machen.

In keinem anderen Ort in unserem Haus steckt so viel Identität von mir.
Hier ist alles von mir und für mich. Das Schöne ist, dass keiner diesen Raum betritt ohne eine Audienz mit mir zu vereinbaren.  


Prinzessin auf der Erbse

Mein Zimmer ist ein kleiner Raum mit Dachschräge, aber groß genug für ein gemütliches Bett, in dem gerade mal ich Platz habe und auf das der Mond scheint, weil ich gern bei offenem Fenster schlafe. Hierher schlafwandle ich, wenn der Schatz in meinen Armen zu schnarchen beginnt. Dann versinke ich wohlig seufzend in meiner Landschaft aus Spezialkissen. Kann schon sein, dass ich frühmorgens zurückwandle und mir noch eine Kuscheleinheit für den Tag hole.
Es ist fabelhaft, Untermieterin eines eigenen Zimmers zu sein, gelegentlich die Tür hinter mir zuziehen zu können, um an einem Ort zu sein, wo alles so ist, wie ich es gern möchte.
Nicht nur dass ich nun endlich ungeniert meine Schlafmarotten ausleben kann, ohne Angst, meinen Bettnachbarn zu stören! Auch ansonsten fühle ich mich hier ein wenig prinzessinnenhaft. Mein Zimmer ist mein privater Ankleideraum, in dem ich ungeniert neue Kreationen ausprobieren kann und niemand mir seine textile (Un-)Ordnung aufzwängt. An Haken und in kleinen nostalgischen Holzschubladenmöbeln verwahre ich meine feminimen Schätze – Schmuck, Schminkutensilien, Nagellack, Parfums. Ein kleiner alter Holztisch unter dem Dachfenster ist mein Schminktisch ...


Unvollendet

Dass mein Zimmer noch nicht fertig ist, gehört zum Charme des Neuaufbruchs. Ich bin auch noch nicht fertig. Noch hängen Annas Tapeten an der Wand. Irgendwann werde ich die Wände übertünchen, die Farbe muss noch gemischt werden, ein zartes Türkis vielleicht oder ein Hauch Rosé … Ich wünsche mir einen kleineren Kleiderschrank. Dafür mehr Regale. Eines Tages werde ich den alten Sessel gegen einen gemütlichen Schaukelstuhl tauschen, den „Noch-in-Ordnung-Teppich“ gegen einen flauschigen Flokati und Annas Kinder-CD Player gegen einen Plattenspieler. Dann werde ich die Schallplatten vom Keller holen und wie in guten alten Zeiten bei Kerzenlicht meine alte Lieblingsmusik hören.

Gemeinschaft contra Alleinsein

Wer heiratet, genießt Vorzüge: Geborgenheit, Zerstreuung, Gemeinschaft, Einverständnis. Aber Ehe ist auch ein starker Einbruch in die Privatsphäre. Fortan bewegt man sich in einem Spannungsfeld – dem Bedürfnis nach Gefährtenschaft und nach Alleinsein, dem Bedürfnis nach liebevollem Zusammenleben und Abstand.
Jedes Paar muss für sich einen Ausgleich finden, einen Rhythmus zwischen diesen Polen, zwischen Gemeinsamkeit und Einsamkeit, zwischen Einkehr und Rückkehr.

Nicht jede Frau hat das Privileg, sich auf eigenen Quadratmetern auszubreiten. Andererseits machen viele Frauen, wenn die Kinder aus dem Haus gehen, die frei gewordenen Kinderzimmer zu Bügel- oder Gästezimmern, die dann naturgemäß die meiste Zeit leer stehen. Für mich war es neu, nach all den Jahren der Zurücknahme Raum für mich beanspruchen zu dürfen. Es war als müsste ich neu denken lernen.

Es kann mit einem Winkel beginnen, mit einer Sehnsuchtsecke. Dem eigenen Schreibtisch. Einem Sessel mit einem kleinen Regal. Oder man beäugt das Schlafzimmer, ob es nicht das Potential birgt zu einem heimlichen Zimmer für sich allein - und des Nachts gewährt man seinem Schatz Einlass...