Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Joyce - Beiträge aus Joyce Journal - Journal - So ist das Leben?? 



Wie dünn die Trennlinie zwischen Leben und Tod ist, wird mir immer bewusster, je älter ich werde. Ach, so ist das Leben, denke ich oft, und dann fällt mir neuerdings Muttis Wort dafür ein: Selawie. Ein Jahr vor ihrem Tod hat sie das Emailschreiben gelernt und ihre ganz eigene, königliche Schreibweise entwickelt. Unter anderem kam da einmal so tröstlich dieses Wort daher. Ich fand es charmant und hab mich dran gefreut. Es brachte ihre Lebensgelassenheit zum Ausdruck. Ich denke „Selawie wie Sellerie“, dass Mutti diese „Liebesknolle“ gern beim Kochen verwendete und fühle mich mit ihr verbunden

Neuerdings fällt mir auch dieser alte Satz von Albert Schweitzer ein: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!“ Manchmal begleitet einen ein Wort ein Leben lang und mit den Jahren kann man es besser verstehen und ausfüllen. Dieses hier gefällt mir, seit ich es zum ersten Mal gehört habe. Zwischen diesen Polen bewege ich mich nun: Selawie! So ist das Leben – aber ich kann immer noch ein Apfelbäumchen pflanzen!

Gestern haben wir stundenlang Werners junge Apfelbaumallee gewässert und die Baumscheiben gepflegt. Ich bekam zum ersten Mal seit Muttis Tod Lust, einen Feldblumenstrauß zu pflücken. Wie oft habe ich ihr einen vorbeigebracht, von Kind an bis zum letzten Sommer. Feldblumen und Mutti gehören eigentlich zusammen. Auf der Heimfahrt schlug Werner vor, Vati zu besuchen. Eigentlich hatte ich etwas anderes vor, aber ich folgte seinem Impuls, fand ihn weinend. Er freute sich enorm über den Besuch, ich schenkte ihm meine Blumen und er mochte sie so gerne wie Mutti. Am Ende waren wir alle beschenkt. Apfelbäumchen …

Abends überraschte uns ein Gewitter. Lena sprang zu ihrer uralten Freundin, die allein in der Nachbarschaft wohnt und sich sehr vor Blitz und Donner fürchtet. Sie fand sie schluchzend in der Küche (Oh heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd s’andre an …), hat sie getröstet und mit ihr gelacht. In dieser Zeit riefen zwei ihrer sieben Kinder an. Die eine, 30 Kilometer entfernt, wäre am liebsten zu ihrer Mutter heimgefahren und war überfroh, diese am Telefon sagen zu hören: „Och, das ist gar kein schlimmes Gewitter, kein Problem, und Lena ist da.“ Der Sohn sagte: „Lena ich mach normal keine großen Worte, aber du bist ein Goldschatz!“. Da war Lena seehr glücklich, zur richtigen Zeit am richtigen Platz gewesen zu sein. Apfelbäumchen …

Mein Neffe wird 18. Werner und ich verbringen zusammen mit den wenigen Menschen, die ihm über die Jahre treu geblieben sind, den Nachmittag in seinem Zimmer im Wohnheim für schwerst mehrfach behinderte Menschen. Eigentlich haben wir beide heute keine Zeit. Aber wenn morgen die Welt unterginge, was wäre heute mein Apfelbäumchen …
Werner holt seine Mutter vom Altersheim ab, um mit ihr in unserem Garten grüne Äpfel zu sammeln, damit sie Gelee kochen kann. Es ergibt zwei Gläser … Ein lieber Bekannter beginnt diese Woche seine Stammzellentherapie. Ich besuche seine Frau und komme zum richtigen Zeitpunkt.
Je näher die Einschläge kommen, umso öfter das Apfelbäumchengefühl.
Es ist nicht wenig, was wir dem bedrohlicher werdenden Gefühl entgegensetzen können. Im Angesicht der apokalyptischen Katastrophe ein Bäumchen zu pflanzen – was für ein starker Ausdruck von Hoffnung und Glaube. Oft bin ich unsicher, ob das, was ich da vorhabe, eine gute Idee ist oder unpassend, peinlich, aufdringlich. Meist zu Unrecht. Ich will wach bleiben, Ausschau halten nach Apfelbäumchen. Ob ich welche pflanzen kann oder hegen.