Zweimal war ich auf einer Freizeit mit dem Schwerpunktthema Angst – jedes Mal dachte ich enttäuscht „Diesmal ist das Thema nicht für mich. Angst ist nicht mein Thema“. Schließlich hatte ich keine Angst vor fremden Hunden, dem Schulversagen meiner Kinder oder dass Gott mich nicht persönlich lieben könnte. Ich hielt mich für einen relativ gelassenen Mensch, der wenig Zukunftsängste hat. Außerdem sagte man mir eine positive Lebenseinstellung nach. Genau in diesen Freizeiten gingen mir die Augen darüber auf was in mir schlummerte. Seither brechen meine Ängste auf, einschließlich der Angst vor Freizeiten ...
Ich habe Angst davor, dass mein Mann auf dem Heimweg von der Arbeit verunglückt, dass meine Mädchen sich unglücklich oder ins Ausland verheiraten, dass mein Junge in ein fremdes Auto steigt. Ich habe große Angst, wenn ein Kind von mir in den OP-Saal geschoben wird. Ich kenne die Angst, uncool zu wirken oder meine Teenagermädchen zu verlieren, wenn ich Grenzen ziehe, die ihnen missfallen. Ich kenne die Angst vor dem Altwerden, vor chronischen oder akuten Krankheiten, vor dem Sterben. Ich habe Angst davor, dass Menschen sterben, die mir nahe stehen. Ich habe Angst davor, nein zu sagen und deswegen nicht mehr geliebt zu werden oder Menschen zu verärgern. Überhaupt fürchte ich Konflikte. Ich habe Angst, nicht schön genug zu sein und immer weniger schön. In mir schlummert die Urangst, von meinem Partner verlassen zu werden, obwohl ich noch nie verlassen wurde. Aber im tiefsten Innern rechne ich damit, dass mir das jederzeit geschehen kann – plötzlich nicht mehr geliebt, als wertvoll befunden zu werden.
Früher beneidete ich oft Menschen, die sich wenig Gedanken um in die Zukunft machten, sorglos in den Tag lebten, während ich mir neun Monate lang während jeder Schwangerschaft Sorgen um die Geburt machte und wie ich diese Schmerzen aushalten sollte, wenn sie nicht mehr in de Zukunft lagen, sondern JETZT da wären.
Ich entlarvte in mir die Angst, dass mein Glaube sich im Ernstfall als ein Flop herausstellt, dass Gott gar nicht da oder nicht wirklich barmherzig ist und mein „Wissen“, dass Gott mich liebt, als Kopfwissen, das leicht irritierbar ist. Ich habe Angst vor Autonomieverlust und Angst, wenn ich diese Angst bei meinem Mann erlebe. Es macht mir Angst, beneidet und angefeindet zu werden und auf Menschen zu treffen, die engstirnig bis fanatisch denken. Ich habe Angst, dass drei Jahre Reitunterricht umsonst waren weil ich nicht begabt genug bin und davor, ein eigenes Pferd zu besitzen, weil ich die Folgen dieser Entscheidung nicht absehen kann. Ich habe Angst vor dem Sprechen am Mikrofon.
Inzwischen weiß ich überhaupt nicht mehr, warum ich je glauben konnte, Angst sei nicht mein Thema.
Neulich entdeckte ich eine tröstliche statistische Zahl: Neunzig Prozent dessen, wovor wir uns ängstigen, tritt überhaupt nicht ein! Das deckt sich mit meiner Erfahrung – wie oft habe ich mir umsonst Sorgen gemacht!
Dennoch leben wir mit unseren Ängsten. Angst beginnt schon bei unserer Geburt, wenn wir die paradiesische Geborgenheit im Mutterleib verlassen müssen, nach der wir uns ein Leben lang sehnen werden. Das Leben macht uns Angst, aber wir Menschen sind von Gott so konzipiert, dass wir die Last des Tages tragen können, nicht aber die Sorge um morgen. Gott will uns HEUTE helfen, im Jetzt können wir erfahren, wie er uns helfen möchte, durch unseren Wald der Angst zu gehen.
Angst kann dazu führen, sich zurückzuziehen, Situationen zu vermeiden, die man fürchtet. Aber in dem Maße wie Herausforderungen gemieden werden, wird die Angst größer und der Lebensraum enger. Rückzug ist Flucht nach hinten. Wer sich von Angst beherrschen lässt, lebt nicht mehr selbstbestimmt. Wer sich mit seinen Ängsten auseinander setzt, wird freier. Jede Angstbewältigung ist ein Sieg, jedes Ausweichen eine Niederlage! Ich will mich nicht mehr blockieren, treiben oder beherrschen lassen von meinen Ängsten.
Es gehört zu meinen größten Siegen, wenn ich eine Angst durchgestanden oder gar überwunden habe und zu meinen geistlichsten Erfahrungen, dass mich Jesus dabei nie allein ließ, wenn ich ihn um Hilfe bat – und zu meinen beunruhigendsten Erkenntnissen, wie spät ich immer noch frage. Aber ich übe. Und weil ich heute weiß, dass Angst mein Thema ist und erlebt habe, wie erstaunlich kreativ Jesus eingreift, wenn ich ihn darum bitte, bin ich immer schneller beim Gebet.
Erfahrungen mit Angstbewältigung
Als ich meine erste (und letzte) Autorenlesung hatte, überfiel mich die nackte Angst. Sie Angst konzentrierte sich hauptsächlich auf den Augenblick, als ich das Publikum verlassen und auf das Podium steigen musste, um im Licht der Scheinwerfer vielen Menschen ins Gesicht zu blicken, den Mund zu öffnen und irgendetwas zu sagen. WAS nur??
Lena gab mir dann den entscheidenden Impuls und riet: "Sag doch einfach Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, wir haben uns heute Abend versammelt, weil ich Ihnen etwas aus meinem Buch vorlesen wollte. Vielen Dank für Ihr zahlreiches Erscheinen!"
Mit Hilfe von Baldriantropfen und an der Hand von Jesus ging es dann. Nachdem ich 95 Frauen und 5 Männern diese souveränen Worte meiner Tochter weitergegeben hatte, war das Eis gebrochen und alle fanden, dass ich eine überaus sympathische Tochter hatte. Was ja auch stimmt. Am Ende des Abends musste mich die Veranstalterin abbrechen, so war ich in meinem Element beim Lesen. Ich habe gelesen, wie ich meinen Töchtern vorlese. Die Resonanz war ermutigend. „Sie“ haben gelacht, wenn mein Leben ihnen komisch erschien, geschwiegen, wenn ich von Schwerem erzählte. Ich sehne mich nicht nach einer Fortsetzung. Aber der Abend war eine wundervolle Gebetserhörung, weil ich nicht blockiert war und mich nicht allein gelassen fühlte da oben auf dem Podium.
Zu reiten war ein alter Kindheitstraum von mir. Es mit 40 noch anzupacken war schon ein Mutanfall an sich. Aber das war erst der Anfang. Es gab Monate, als ich nur noch bibbernd den Reitstall betrat und mich wieder und wieder fragte, warum um alles auf der Welt ich mir das antat. Aber ich blieb dabei und biss. Die Ängste hörten nicht einfach auf, als wir uns ein Pflegepferd und dann ein eigenes zulegten, sondern klopften bei jeder neuen Mutprobe wieder bei mir an. Aber die vielen glücklichen Stunden mit Werner zusammen bei den Pferden, auf unseren Ausritten, auf der Weide sind alle Ängste wert. Heute bin ich so froh, durchgehalten und nicht meiner Angst nachgegeben zu haben.
Im Januar musste ich mich an der Schilddrüse operieren lassen – Grund genug, Angst zu haben. Angst vor der Narkose, davor, den Hals aufgeschnitten zu bekommen, vor Wundschmerzen, vor der Diagnose Krebs. Ich beschloss mich auf die Angst vor der Narkose zu konzentrieren um die anderen Ängste in die dunkleren Winkel meines Bewusstseins zu schieben. Eine Freundin riet mir, wenn das Gefühl des Ausgeliefertseins käme, mich bewusst Gott auszuliefern. Da wurde mir klar, wie „ungeistlich“ meine Ängste oft sind bzw wie oft ich nicht mit Gott rechne – offensichtlich schlummert in mir immer noch die Befürchtung, blinden Schicksalsmächten ausgeliefert zu sein oder dass Gott mein vertrauensvolles Gebet missbrauchen könnte. Und darum geht es wohl immer wieder wenn Christ mit Angst konfrontiert wird – erinnere ich mich daran dass Gott gebeten werden möchte, dass er da ist und helfen will, dass er schon so oft geholfen hat? Wage ich immer wieder neu Vertrauen selbst auf die Gefahr hin, dass Gott es nicht auf die Weise beantwortet wie ich mir das vorstelle? Traue ich ihm zu dass er eingreift, vertraue ich, dass er es auf jeden Fall gut mit mir meint? Als der (scheinbar) schlimmste Fall eintrat und die Ärzte bei mir einen bösartigen Tumor diagnostizierten, als Todesangst, Angst vor Krankheit und Therapie mich überfielen, bestätigte sich meine allergrößte Befürchtung nicht: dass mein Glaube nicht stand hält. Ich machte die Erfahrung, dass Gott ganz übernatürlich handelte, Angst linderte und mich auffing. Gott war da. Ich hatte Angst, groß zu beten aus Angst vor Enttäuschung, aber Gott erhörte liebevoll meine kleinen Gebete und machte meinen Glauben wieder stark und ich lernte wie ein Kind zu bitten und ihm meine Angst und die Entscheidungen zu überlassen.
Ich erkannte, dass Sterben für mich ein äußerst angstbesetztes Thema ist und ich es nicht verdrängen, sondern angehen muss.
Angst arbeitet an uns
Angst formt den Charakter von unserer frühen Kindheit an mit. Wir alle übernehmen Lebenssätze, die wie ein Motto über unserem Leben stehen und sich oft als falsches Denken erweisen. Das ergibt Verhaltensmuster, die für Außenstehende oft unbegreiflich sind. Ich bin, was ich befürchte zu sein, oder was mir vermittelt wurde. Wer sich hässlich, schüchtern oder ängstlich findet, gibt sich auch so, unabhängig von der Realität, die oft ganz anders ist. Diese Art, über mich zu denken, hat nicht den Ursprung in mir selbst, sondern ist das Ergebnis von oft sehr subjektiv wahrgenommenen Sätzen und Ereignissen, die in mir als Leitsätze weiterleben. Aber wir können unsere negativen Gedanken über uns aufspüren und eine Art Gegenrede daneben stellen: „Ich habe zwar kein Abitur, aber ich komme zurecht in meinem Leben. „Ich bin zwar nicht perfekt, aber ich kann einfühlsam auf Leute eingehen“. „Ich kann mich nicht gerade brillant ausdrücken, aber ich kann gut zuhören.“ „Ich bin nicht musikalisch, aber ich kann köstlich kochen.“ Es ist hilfreich, mal nach innen zu hören, wie unsere Negativleitsätze klingen (wo klagt mich meine innere Stimme an?), sie aufzuschreiben und Gegenreden zu formulieren, die man von nun an laut und deutlich daneben stellt, wenn wieder so ein Satz auftaucht!
Angst dient uns
Das klingt vielleicht unglaubwürdig, aber Verhaltensmuster, hinter denen Ängste stecken, können durchaus ihren Zweck haben.
Hinter Zynismus z.B. verbirgt sich oft Angst vor Enttäuschung und Verletzung durch Menschen und schützt mich vor Ablehnung. Hinter Misstrauen kann Angst vor Gott stehen. Misstrauen schützt mich dann, mich näher auf das Wagnis Glaube einzulassen. Hinter Lügen kann die Angst vor Konflikten stecken. Indirekt schützt mich diese Angst dann davor, wahrhaftig zu sein und zu möglichen Folgen zu stehen. Eifersucht ist in Wirklichkeit oft Angst vor Verlust und Neid birgt die Angst in sich, nicht mithalten zu können. Angst dient, Auseinandersetzungen auszuweichen, andere zu manipulieren, Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erregen, andere an sich zu klammern, Verantwortung und Konflikte zu vermeiden.
Auch hinter „starken Mustern“ kann Angst stecken. Extrovertierte Menschen betreiben oft die Flucht nach vorne aus Angst vor Einengung und Routine! Aber wer Stärke demonstriert, hat sie eher nötig.
Menschen mit Minderwertigkeitsangst (Angst, an Wert bei den anderen zu verlieren) versuchen oft durch Angstformen wie (scheinbare) Hilflosigkeit, Eifersucht, Krankheit, Anhänglichkeit, Betteln etc. ihre eigene Person aufzuwerten und von anderen die Wertschätzung zu fordern, die sie brauchen, um sich selbst zu schätzen.
Wenn wir der Frage nachgehen, welches Ziel wir mit unseren (für uns oder unsere Mitmenschen) anstrengenden Verhaltensweisen verfolgen („Was erreiche ich damit?“) und der Angst dahinter auf die Spur kommen („Was könnte mir passieren, wenn ich dieses Verhalten ablege?“) können wir beginnen, an Verhaltensmustern zu arbeiten, die Ängsten entspringen. Ich habe jedenfalls damit begonnen, nach meinen Ängsten zu forschen, wenn ich starke Emotionen bei mir erlebe.
So wie man „erlernte Angst“ wieder verlernen kann, kann man auch konkrete Alltagsängste überwinden - am besten durch das Tun dessen, was man fürchtet. Wer z.B. Angst hat, sich in Waschanlagen zu blamieren, übt am besten mehrmals hintereinander genau diese gefürchtete Situation. Wer Angst vor Hunden hat, sollte den Kontakt zu ihnen bewusst herbeiführen. Wer Angst vor dem Mikrofon hat...
Und dann gibt es noch die großen Bedrohungen, die sich vor uns aufbauen – da ist die Angst, ungewollt schwanger zu sein, die Angst, dass der Mann die Arbeit verliert, das Kind ernsthaft krank ist, die Nerven mit den Belastungen nicht mehr mithalten und sich eine psychische Erkrankung anbahnt...
Aber Angst hat zwei Seiten: Sie kann uns blockieren, so dass wir nicht mehr situationsgerecht reagieren können, aber sie kann auch verborgene Kräfte in uns wecken und uns mutig und erfinderisch machen!
Manches von dem, was ich auf den Freizeiten über Angstbewältigung gehört habe, begleitet mich seither als hilfreicher Satz, der sich neben meine Ängste setzt, wenn sie kommen:
Was also hilft konkret, mit Angst umzugehen?
• Konzentriere dich ganz auf das Angstprojekt (der Mensch kann sich nicht auf zwei Dinge konzentrieren).
• Stell dir den schlimmsten Fall vor (Wer sich auf das Schlimmste gefasst macht, hat nur noch zu gewinnen. Das setzt Kräfte frei, nach neuen Lösungsmöglichkeiten zu suchen.)
• Finde dich mit der Unausweichlichkeit dieser Situation zurecht.
• Nenne deine Angst beim Namen
• Oute dich. Sprich über die Angst, mit Freunden, einem Seelsorger, Gott. Wenn du die Angst verrätst, nimmst du dem Schwersten die Spitze ab.
• Steh zu deinen Grenzen.
• Stell der Angst die Möglichkeit eines positiven Ausgangs gegenüber, ruf dir positive Erfahrungen ab (Ich habe schon Schlimmeres geschafft)
• Und: Geh vorwärts im Vertrauen auf Einen, der die Ängste dieser Welt durchlebt hat und der nicht nur den Überblick über Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch über die Zukunft, die uns Angst macht, hat.
Fürchtet euch nicht...
Angstbewältigung stärkt das Selbstwertgefühl - Bei vielen mutigen Versuchen gibt es erfahrungsgemäß auch viele positive Erfahrungen! Christen haben noch einen Vorsprung: Gottvertrauen reduziert Menschenfurcht!
„Fürchtet euch nicht“ ist der häufigste Imperativ der Bibel!
„Fürchte dich nicht, spricht der Herr, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ Jes 41,10.
Oft fordert uns Gott auf, dass wir uns freuen sollen. Freuen sollen wir uns, und abermals freuen. Aber noch viel öfter lese ich in der Bibel, dass ich mich nicht fürchten soll. Gott will nicht, dass ich mich ängstige!
Gott will nicht, dass ich zitternd und unsicher durch das von ihm geschenkte Leben wanke. Er will dass ich Freude in Fülle habe! Und er will mir in meinen Ängsten zur Seite stehen. Je mehr ich mich darauf einlasse, um so mehr erlebe ich, welche Kapazität ich da an meiner Seite habe und bin froh, mich nicht allein durch den Wald meiner Angst wursteln zu müssen. Ich habe nicht nur eine Adresse, wohin mit meiner Angst, sondern habe mit dem allmächtigen Schöpfer einen Seelsorger, der sich höchstpersönlich und ohne Wartezeiten um meine Sorgen kümmern möchte.
„Stärkt die kraftlosen Hände! Lasst die zitternden Knie wieder fest werden! Sagt denen, die sich fürchten: Fasst neuen Mut! Habt keine Angst mehr, denn euer Gott ist bei euch. Gott selbst kommt, um euch zu helfen und euch zu befreien!“
„Warum fürchtet ihr euch?“ fragt Jesus seine Jünger. Seht ihr nicht, dass ich es bin? Seither sehe ich öfter nach, ob Jesus da ist, obwohl ich ihn in dieser Situation weder erwartet noch bemerkt habe. Jesus kennt meine Angst, er kennt sie aus eigener Erfahrung und er kennt sie, weil er in meinem Herzen wohnt. Er kennt mich von innen. Und er hat gesagt: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.