Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Family - Biankas Beiträge in der Zeitschrift family - Vatertag mit Wallungswert 



Hanna hat mir eine wunderschöne Kurzgeschichte geschickt:

„Ein Freund ist in einer Selbsthilfegruppe. Seitdem guckt er immer so weich und macht absonderliche Hausaufgaben. Die letzte war, seinem Vater zu sagen, dass er ihn liebe. Der Freund hat es getan, der Vater  hat ihn beklopft und dann geweint, dann hat der Freund geweint und schließlich die ganze Mischpoke, wie sie da saß, und alles war schön und tief. „Mach mal“ hat der Freund gesagt und weich geguckt. Der Freundin gefiel die Vorstellung, beklopft und beweint zu werden, sie befürchtet aber, dass ihr Vater sie fragt, ob sie in einer Selbsthilfegruppe sei, wenn sie es tut. Der Freund sagt noch, telefonisch zählt nicht, denn da kriege man den Wallungswert nicht mit. Ich hab dich lieb gelte auch nicht, das sei ein Memmensatz und der Unterschied zu Ich liebe dich sei wie der zwischen Plüsch und Brokat.
Die Freundin beschließt, dass der richtige Moment für so einen wallenden Satz einer von schöner Beiläufigkeit sein sollte. Am nächsten familiären Sonntag geht sie mit ihrem Vater Pizza holen. Weil es etwas dauert mit der Pizza, trinken sie Cappuccino und sind also mitten in einem beiläufigen Moment. Sie legt zwei Zuckerstückchen auf ihren Löffel und sagt ihrem Vater „Ich liebe dich“. Trotz aller Beiläufigkeit kriegt sie einen enormen Wallungswert und rechnet jetzt doch mit Tiefe, Tränen und Stehgeigern. Der Vater guckt sie an und fragt nicht, ob sie in einer Selbsthilfegruppe sei, sondern seit wann sie Zucker in den Cappuccino tue. „Eigentlich nie“ sagt sie, „heute zum ersten Mal.“ Sie weiß auch nicht, warum sie ausgerechnet heute Zucker in ihren Cappuccino tut, sie hat das tatsächlich noch nie gemacht und heute zum ersten Mal und ihr Vater sagt, er will das auch mal probieren. Er tut Zucker in seinen Cappuccino, rührt, trinkt und sagt: Geht so.“ Der Kellner kommt mit warmen Pappkartons und sagt: „Zweimal Romana.“ Der Vater lächelt den Kellner an und sagt: „Meine Tochter liebt mich.“ Der Kellner guckt mich an. „Klar liebt Ihre Tochter Sie“, sagt er und dass alles zusammen fünfzehn vierzig macht. Sie zahlen und gehen, und sie sagt: „Dein Schnürsenkel ist auf“. Sein Schnürsenkel  geht jeden familiären Sonntag mindestens dreimal auf, und sie weist ihn mindestens dreimal darauf hin, dann bellt er irgendwas und macht ihn wieder zu. Ihr Vater guckt erst den Schnürsenkel, dann sie an. „Danke sehr“, sagt er. „Bitte“ sagt sie. Dann machen sie sich auf den Weg , nach Hause, mit den Pappquadraten unter den Armen, und der Schnürsenkel ist immer noch auf.“

Ich mag die Geschichte.

Es ist also Vatertag und ich versuche es. Ich mache meinem Vater zum ersten Mal seit langem zum Vatertag ein Präsent. Ich vermute mal, schriftlich gilt auch nicht, aber ... Ich kaufe eine Karte mit drei Ferkeln drauf, eins schwarz, zwei rosa, und schreibe meinem Vater, wie wichtig er für mein Leben war und wie dankbar ich für meine Kindheit bin und dass mir immer mehr bewusst wird, dass er mir Netz und doppelter Boden war und immer noch ist. Darunter schreibe ich: Ich liebe dich. Ich weiß, ich weiß, das zählt nicht. Dazu kaufe ich ihm wegen seiner jüngsten Schlafstörungen Baldriantabletten, wie originell. Als er morgens bei uns ist, während wir frühstücken, gebe ich das Geschenk. Er steckt es wortlos in seine Jackentasche. Abends kommt er zu uns, um letzte Regieanweisungen entgegenzunehmen für die Versorgung von Haus und Hof während unseres Urlaubs. Kein Wort. Unsere Kleintiere schätzt er im Gegensatz zu unseren Pferden, die er für gefährlich, teuer, zeitraubend hält. Unnötig eben. Sie interessieren ihn nicht die Bohne. Mit den Hasen hält er liebevoll Zwiegespräche und isst sie auch gerne. Hund und Katze sind in Ordnung. Die Hühner bringen Eier und Eiergeld, die sind wirtschaftlich. Wir sitzen unter dem Verandadach, weil es nieselt und mir fällt plötzlich ein, dass die Pferde noch auf der Weide stehen. Ich rufe: „Ich muss die Pferde reinstellen.“ Und, einer spontanen Eingebung folgend, zu meinem Vater: „Willst du mit?“ Entgegen aller Erwartung schnalzt er aus dem Gartenstuhl, elastisch wie ein 17jähriger Tanzschüler und ruft: „Jo!“ Überrascht sitze ich kurz darauf in meiner kleinen Blechbüchse, meinen Vater als Beifahrer, der sich in den Kurven krampfhaft am Türgriff hält und sich bemüht, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Er entscheidet sich für Prinz, lässt sich kurz erklären, was zu tun ist, nimmt ihn an die Führleine und lässt ihn grasen, bis ich mit Chopper bei ihm bin. Dann führen wir die beiden Pferde in ihre Boxen, mein Vater hinter mir, als hätten wir noch nie etwas anderes gemacht, und ich höre ihn die ganze Zeit wohlwollend mit dem Tier reden, das er für gefährlich, teuer und zeitraubend hält. Es ist so rührend, dass ich vor Lächeln schier zergehe.
„Ich weiß, Guter, mit euch muss man reden, damit ihr wisst, dass alles in Ordnung ist. Du musst wissen, ich hatte auch mal Pferde.“ Trakehner, die hatte er als fünfjähriger Flüchtlingsjunge in Ostpreußen zurück gelassen. Ich bekomme ziemlich viel Wallung ab...

Zuerst kam das Ablösen von meinen Eltern. Irgendwann war ich alt genug, mich abzulösen von dem, was mir negativ in Erinnerung blieb, worunter ich gelitten habe als Kind, als Heranwachsende, all das was mich belastete und behinderte. Danach erlebte ich ein großes Freiwerden für das Gute, das ich zu Hause erlebt habe. Für die Schätze, die ich gesammelt habe, ohne es zu ahnen. Für meine positiven Prägungen, für all das, was mich ausgerüstet hat für das Leben.
Ich wusste früher schnell, was ich anders machen möchte. Ich habe auch vieles anders gemacht. Es hat aber lange gedauert, bis ich gesehen habe, was ich ebenso machen möchte wie meine Eltern. Welche Anteile von mir das Ergebnis dessen ist, was mein Vater gut gemacht hat. Wie viel Liebe er in mich investiert hat. Dass er mich liebt. In einer anderen Sprache als ich sie spreche und verstehe, mit wenig Worten. Dass er einer vaterlosen Generation entstammt, die wenig Worte hatte. Einer Kriegs- und Nachkriegszeit, die wenig Sicherheit bot. Dass er seine Geschichte hat, die vieles erklärt. Dass er mir der bestmögliche Vater wurde. 
Dass jeder seine Lebensgeschichte hat, die ihn prägt.

Vielleicht ist das der Beginn davon, endgültig erwachsen zu werden.