Irene und Hans haben uns zum Essen eingeladen. Bei Mamma aus Sizilien, köstlich, reichlich. Anschließend kam mein postnatales Bäuchlein wieder richtig zur Geltung. Es ist ja häufig genug Grund für eilige Fehldiagnosen. Egal. Jetzt fehlte mir nur noch eine Tiramisu, dann hätte ich das Gefühl, in Ruhe sterben zu können. Als ich die italienische Kellnerin zweimal vergeblich um eine solche anflehe, fällt ihr Blick auf meinen Bauch und sie ruft plötzlich verstehend: „Signora! Sie sind schwanger!?“ Froh über ihren Geistesblitz erklärt sie mir: „Eine Frau die Kind kriegt muss man immer geben was sie wunschen! Sonst nix gut für die Baby! Ich gehen zu Cousine und fragen!" Strahlend kommt sie zurück mit der köstlichsten Tiramisu, die ich je gegessen habe... Sollte ich lachen oder weinen? Die anderen wussten jedenfalls, was sie tun sollten...
Irene meinte: „Tröste dich, mir hat auch mal eine Bekannte begeistert zum vierten Kind gratuliert, weil ich mein weites Lieblingskleid trug, das Hans Sack-Kleid nennt.“ - Nein, das tröstet mich nicht, weil das meine Dauergeschichte ist. Ich bin groß und habe schlanke Finger, Beine und Nase. Textilverkäuferinnen dichten mir immer Gr. 36 an, dabei brauche ich 42, aber das halten die Leute dann für meinen schwangeren Anteil. Jedes Mal, wenn ich auf meinen „Zustand“ angesprochen werde (und das ist immer genau dann, wenn ich ihn gerade vergessen habe), gerate ich eine Zeitlang aus dem Gleichgewicht. Dann denke ich, ich bin ein Bäuchling, ein Mensch, der sich vor allem durch seinen Bauch definiert....
Mal wäre ja noch verkraftbar, aber nach der Geburt meines Jüngsten hat mich ein Mann in regelmäßigen Abständen gefragt, ob ich tatsächlich schon wieder... Irgendwann gingen mir die Nerven durch und ich blökte ihn an: „Nein, ich bin nicht schwanger und Sie brauchen mich auch nie wieder zu fragen, ob ich schwanger sein könnte, denn ich werde nicht wieder schwanger sein, so Gott will, denn falls Sie das auch noch interessiert: Mein Mann hat sich sterilisieren lassen!!!" Hinterher ging es mir gut! Ich lachte böse und hatte dieses Enfant-terrible-Gefühl, das mich überfällt, wenn ich mal unartig bin. Irene meinte, da ich ein Mensch bin, der eher verzagt, wo andere längst wütend werden, scheint er wirklich eine wunde Stelle getroffen zu haben. Stimmt.
Meine unvollkommene Figur ist eine wunde Stelle. Darauf will ich nicht gestoßen werden. Die hat mich in der Pubertät zu viel Vernichtung gekostet.
Mit vierzehn war ich schon so groß wie heute, wog aber zwanzig Kilo weniger. Bohnenstange nannten sie mich und mein Körpergefühl war das einer Bohnenstange. Ich ging wie eine Bohnenstange, stand wie eine schräge Bohnenstange und benahm mich hölzern wie eine Bohnenstange. In meinen Schwangerschaften beobachtete ich froh meine zunehmenden Rundungen. Warum ist diese Freude verloren gegangen?
Ich will attraktiv sein und beobachte, dass der Rest, an den ich noch geglaubt habe, mit zunehmendem Alter auch noch schwindet. Warum stehe ich nicht souverän zu meinen Formen einer dreifachen Mutter? Warum denke ich „Mein Bauch ist mein Schwachpunkt, weil er nach den drei Schwangerschaften nicht mehr straff geworden ist“? Wessen Urteil akzeptiere ich da eigentlich, wenn ich denke, meine Figur sei unvollkommen? Sieht das der Erfinder ebenso? Und was ist der Maßstab, an dem ich mich messe? Wie würde die Frau im Rollstuhl meinen Körper beurteilen? Ich glaube, dass ich als Christin frei bin und setze mich doch dem Diktat der Mode aus.
Ich habe mich schon mehr als einmal seufzend nach der Zeit zurückgesehnt, wo Frauen drei bodenlange Röcke übereinander trugen, in ungeschminkter Natürlichkeit lebten und Speckfalten, gesenkte Brüste und Schwangerschaftsstreifen kein Thema waren.
Als Christin bin ich frei, aber als Frau dann doch wieder nicht?
Ich fahre mit Anna und Lena einkaufen. Es fehlt an Kleidern. Wir suchen sie in gut ausgespiegelten Girlie-Boutiquen.
Die Schränke sind aufgrund der Wachstumsschübe der Damen so leer, dass sie jeden Morgen heulen und verzweifelt im Wäschekorb wühlen.
Neben der aufblühenden Schönheit meiner Teenagertöchter und ihrer unbändigen Freude am eigenen Körper fühle ich mich wie ein alterndes Mauerblümchen. Als ich Anna um ihre ehrliche Meinung bitte, ob mein Bauch arg dick ist, meint sie: „Er sieht aus, als ob du dreimal schwanger warst. Von vorne sieht man es nicht.“ Hört sich zwar legitim an, fühlt sich aber nicht so an.
Ich kaufe mir eine Frauenzeitschrift für Frauen ab vierzig. Ich erhoffe mir schillernde Frauen, die trotz (!?) ihres Alters auf irgend eine geheimnisvolle berechtigte Weise anziehend und attraktiv sind. Aber da Attraktivität in diesem Alter viel mit Ausstrahlung und wenig mit Haut und Haaren zu tun hat, werde ich enttäuscht. Still betrachte ich Krähenfüße, mollige Schenkel, faltige Hälse. Ehrlich ist diese Zeitschrift, das muss man ihr lassen. Sie raubt uns den Mythos, dass wir immer noch so aussehen wie die Models normaler Frauenzeitschriften. Wahre Schönheit kommt von innen. Es ist eine Riesenherausforderung für mich, mich anzunehmen, wie ich bin und werde, wo ich doch noch nie meinen Körper besonders mochte.
Neulich hatte ich ein nettes Erlebnis mit mir selbst. Ich war mit dem Rad unterwegs und fühlte mich eigentlich ganz wohl in meiner Haut, die in einem langen aprikotfarbenen Strickkleid steckte. Bis ich an der Sparkasse vorbeifuhr und aus den Augenwinkeln prüfend in die verspiegelte Fläche schielte. Und was sah ich da? Eine lange orange Erscheinung, in der Mitte eine gut sichtbare Wölbung nach außen. Mein Wohlgefühl fiel in sich zusammen. Soweit noch ganz normal. Aber plötzlich tauchte ein neuer Satz in mir hoch: „Dieser Bauch ist dein Stabilisator! Er ist deine Mitte, die deinen Körper zusammen hält! Ohne den geht gar nichts. Er hat drei Kinder geborgen. Warum sollte er nicht aussehen dürfen wie ein Bauch, der drei Kinder beherbergte?“ Ich lächelte und zum ersten Mal machte sich nach dem ersten Frust Gelassenheit in mir breit. Gewinn des Älterwerdens? Ich will meinem Körper gegenüber nicht mehr so undankbar sein.
Dreimal Riesenbauch – muss da ein Bauch wirklich superelastisch tun als ob nichts gewesen wäre? Dreimal stillen – ist es nicht normal, dass das Spuren hinterlässt? Aber wie kommt mein Mann, der Ästhet, damit zurecht? Besser als ich, hoffe ich, solange ich mich in meinem Körper wohl und attraktiv fühle, berechtigt, ich zu sein.
Neulich sagte eine 52jährige Freundin zu mir: „Bianka, mit 40 bist du kein junges Mädchen mehr! Du bist eine Frau! Du musst nicht mehr aussehen wie ein junges Mädchen! Das erwartet niemand von dir. Du darfst diesen Bauch haben! Er gehört zu dir!“ Dieser Rat einer reifen Frau hat mir den ganzen Tag über gut getan. Ich bin dabei, mich endlich mit meinem Bauch zu versöhnen. Ich möchte das auch so beten können: „Herr, ich danke dir dafür, dass du mich so wunderbar und einzigartig gemacht hast!“ (Ps 139,13)