Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Joyce - Beiträge aus Joyce Journal - Journal - Kittelschürzenschönheit 



Ich stehe in der Buchhandlung und werde zum hundertsten Mal auf mein schwanger wirkendes Bäuchlein aufmerksam gemacht.
Ich stehe vor meinem Kleiderschrank und finde nichts Passendes. Nichts was mir passt, nichts was zusammen passt, nichts, was für einen bestimmten Anlass passt.
Ich stehe in der Umkleidekabine. Mein Deo versagt. Textile Entscheidungen sind für mich Schwerarbeit - bei jedem Kleidungsstück die Frage, ob es passt: zu meiner Figur, meiner Garderobe, meinem Stil, meinem Alter, meinem Lebensgefühl und zu meinem Geldbeutel. Wenn das durchstanden ist, taucht die Überlegung auf, ob es überhaupt nötig ist angesichts der Armut der Welt und der Mühe, die es kostete, den Betrag dafür zu verdienen. Und so weiter.
In solchen Momenten beneide ich die unbeschwerte Kittelschürzenschönheit meiner Oma, die sich keine Gedanken um ihre Garderobe machte, die nicht im Traum daran dachte, ihre Haare zu färben, Diät zu halten oder Bauch/Beine/Po-Martyrium zu betreiben. Zur Zeit der Kittelschürzen war die Welt noch keine Bühne und frei von Schönheitschirurgen, Schönheitsfarmen, Schönheitswahn.

Omas Garderobe bestand aus genau zwei Basisteilen: dem Dreiteiler Rock, Pullover, Kittelschürze. Und dem Sonntagskleid. Das Ganze ging so: Werktags zog sie den Rock an, der gerade sauber war, den obersten Pullover vom Schrank, darüber einen ihrer vier Kittelschürzen, eben den, der gerade an der Küchentür hing. Und sonntags ihr Sonntagskleid. Sehr entspannend! Meine Mutter meinte dazu neulich: „Du hast deinen Schurz ausgezogen und warst angezogen.“

In meinem Leben gab es zwei ähnliche Situationen:

A) Ich bin klein, meine Mutter kauft meine Kleidung und legt sie mir morgens auf mein Bett.

B) Ich bin schwanger, riesendick und trage im Wechsel die altrosé Latzhose mit dem letzten noch passenden Schwangerschaftsoberteil oder das zeltförmige, royalblaue Hängekleid. Ich empfand das nicht als Einschränkung, eher als ein ziemlich unaufgeregtes Verhältnis zu Kleidung. Kleidung als Nebensache sozusagen. Hauptsache angezogen.
Auf Fotos erstrahlt meine Oma in würdiger Kittelschürzenschönheit (und ich in zufriedener Schwangerschaft). Oma war schön! Ich mochte jede einzelne ihrer Lebensspuren. Es fehlte ihr nicht an Ausstrahlung, die viel mit Lachfalten, Lebenserfahrung und Gelassenheit zu tun hatte. Wenn frau sich wohl fühlt in ihrer Haut, strahlt das aus ihr heraus.
Dass an Omas linker Hand ein Finger fehlte, weil sie sich beim Brombeerpflücken eine Blutvergiftung zugezogen hatte, war ein Zeichen ihrer Originalität, kein Schönheitsfehler. Ob sie je zu- oder abgenommen hat, dafür hatte ich kein Auge, wohl aber für ihren gütigen Blick und ihre Weichheit. Witwe und vierfache Tochtermutter Anna musste nicht schön sein, konkurrieren, gefallen, sie war schön. Auf die Frage, wer schöner war, Oma oder Miss Universum, war die Antwort für die von ihr heiß geliebte Enkelin klar wie Kloßbrühe. In den Augen eines geliebten Menschen ist man immer schön, er besitzt den Schlüssel, die Geheimzahl, er sieht ins Innere, wo die wahre Schönheit wohnt.