Gestern war ich in der Stadt mit einem großen „Speziell-für-die-Stadt"-Einkaufszettel mit diversen Aufträgen an die Mutter und Ehefrau.
Als ich versehentlich durch die Wäscheabteilung des Kaufhauses streifte, wo vereinzelte Dessous-Überreste der letzten Saison drastisch reduziert hingen, wurde mir klar, dass ich A einen neuen BH brauchte und B, dass ich hier keinen finden würde.
Ich besaß nur noch eine schwindend geringe Anzahl, allesamt sehr „ausgelobbelt" (Klangwort aus meinem Dialekt), unspektakuläre, pflegeleichte, funktionale Baumwollteile, die sich an meinen Busen schmiegten, wo er sich gerade niedergelassen hatte. Man wusste nicht, wer hier wen stützte. Außerdem war mir aufgefallen, dass meine Figur sich neuerdings auf Fotos irgendwie verändert darstellte. Etwas - weniger vorteilhaft.
In der Regel hatte ich bisher Büstenhalter ohne fremde Hilfe erstanden. Bis auf das erste Mal. Die sehr vollbusige Frau Hornbach (welche Informationen man doch alles so speichert) nahm meinen dreizehnjährigen Busen damals abschätzend in die Hand und stellte die Diagnose: 65 A. War mir das peinlich. Aber dass da was hüpfte, wenn ich mit den Jungs Wettrennen machte, war auch peinlich. Seither deckte ich mich neutralerweise in besagtem Kaufhaus ein. Jetzt schien mir der richtige Zeitpunkt gekommen für einen zweiten Versuch. Entschlossen betrat ich den eleganten Wäscheladen nebenan, den ich bisher nur respektvoll von außen bestaunt hatte.
Eine ältere, Vertrauen erweckende Verkäuferin Marke „mütterlich, patent, ehrlich" fand mich. Sie entschied: „Ich messe Sie erst einmal aus." 30 dezente Sekunden später war klar, dass ich zugenommen hatte an Alter, Weisheit und Punkten auf der Skala. Nun reichte sie mir mit einer Mischung aus Ehrgeiz und Geduld unermüdlich einen BH nach dem anderen in die Umkleidekabine. Was hieß hier BH - zarte Gebilde aus Spitze in Olive, Lingerie aus weinroter Mikrofaser, ein schwarzer Hauch von Nichts, stützend, hebend, kaschierend. Die staatlich examinierte Kammerjungfer rückte zurecht, maß mit dem Augenmaß, wie meine Figur nun im T-Shirt zur Geltung kam, kürzte Träger, hatte immer Recht und half mir so freundlich, dass ich vor Dankbarkeit gleich noch um passende Schlüpfer bat oder wie man deutsche Unterhosen heute nennt. Was sie brachte, war keine Feinrippware im herkömmlichen Sinn, das waren hauchdünne, nicht auftragende, bundlose, atmungsaktive Träume für Frauen wie La Femme de Monde, wie die zweidimensionale Brünette an der Wand meiner Umkleidekabine hieß. Ich kaufte drei (3) BH’s. Beulen-BHs, ich darf bei meiner Konfektionsgröße nämlich noch gut „mit Einlage" nehmen, das puscht nicht auf, sondern formt schön. Ich kaufte elf (11) Schlüpfer. Als ich mit dem eleganten, winzigen Tütchen in der Hand ins Licht der Welt zurücktaumelte, war ich ein kleines Vermögen los, fühlte mich aber von der Basis her gut ausgestattet, irgendwie sehr angemessen. Zwar meldete sich danach gleich mein schlechtes Gewissen („Das hättest du nicht dürfen!", „Das muss jetzt aber reichen für die nächsten Jahrzehnte!"), aber da hatte ich die Teile schon, und irgendwie dachte ich sehr zufrieden: „Höchste Zeit!"
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