Romantische Filme – und meine Wirklichkeit
Bianka Bleier über Risiken und Nebenwirkungen moderner Märchen
5. April
Mit meinem Mann Werner zusammen den Film "Bodyguard" gesehen. Nach unserer Unterhaltung heute Mittag, was Frauen von Männern erwarten und warum Partnerschaft oft schief geht, eine interessante soziologische Ergänzung. Warum fahre ich auf diesen Typ Bodyguard ab, der dort von Kevin Kostner skizziert wird? Ich glaube, er entspricht meiner Vorstellung eines "wahren Mannes" - stark, tiefer Ernst, Glück, wenn sie ihn zum Lachen bringt. Sehr selbstsicher - unsicher nur durch die Gefühle der einen Frau. Ritterlich die Geliebte beschützend, notfalls mit seinem eigenen Leben. Ein Mann, der Sicherheit gibt, neben dem man sich vorkommt wie die wahre Frau ...
6. April
Fahre für zwei Tage zu einer Sitzung. Werner bringt mich zum Bahnhof. Es regnet. Vor der Halle hält er, lässt den Motor laufen, bietet mir seinen Mund zum Kuss. Ich empört: "Gehst du nicht mit mir zum Gleis rüber und trägst mir meinen Rucksack?" Doch, doch - auf diese Idee ist er bloß nicht gleich gekommen, aber jetzt, da ich es sage ... Er fährt einen Parkplatz suchen und schleppt mir mein Gepäck die Treppen hoch und runter. Mein Versuch, etwas Romantik zu inszenieren, scheitert. Als der Zug einfährt, will er sich schnell verabschieden. "Ich will einen Kuss in der offenen Zugtür. Ich will, dass du verzweifelt neben dem abfahrenden Zug her rennst, ein Taschentuch schwenkend, während ich aus dem Fenster lehne und meine Tränen sich mit dem Regen vermischen!" Er verneint nun vehement und zieht Leine, nachdem ich ihm noch einmal erklärt habe, dass ich morgen um 21 Uhr hier auf ihn warte. Ich glaube, "Bodyguard" hat mir nicht so gut getan ...
7. April
Dreieinhalb Stunden Heimfahrt. Zeit genug, mich auf zu Hause einzustellen. Voller Vorfreude lege ich mir bei der Einfahrt in den heimatlichen Provinzbahnhof etwas Lippenstift auf und besprühe mich mit einem verführerischen Hauch meines derzeitigen Lieblingsparfums, lade den Rucksack auf den Rücken und steige aus. Da steht kein Mann, der sehnsuchtsvoll strahlend auf mich wartet. Etwas enttäuscht marschiere ich zur Unterführung, steige die Treppen hoch – er ist nicht da! Die Bahnhofshalle ist geschlossen, ich muss außen herum im Dunkeln laufen und fühle mich unwohl. Auch vor dem Bahnhof keine Spur von ihm! Innerlich bricht etwas in mir zusammen. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich kriege das Handy nicht an, werde äußerst unangenehm angemacht von ein paar abgerissenen Typen und habe Angst. Soll ich jetzt ein Taxi nehmen? Das kann doch nicht wahr sein!
Zwanzig Minuten stehe ich enttäuscht und ratlos herum, als das Handy klingelt. Es ist mein Lover, der daheim sitzt, auf meinen Anruf wartend. Er stürzt sich sofort ins Auto und steht sieben Minuten später vor mir. Aber ich, ich kann mich nicht mehr freuen - wie der Flaschengeist, der zu lange eingesperrt war. Mir laufen nur die Tränen die Wangen herunter. Der Abend ist gelaufen ...
Ich wünsche mir einen Bodyguard, dem solche Fehler nicht unterlaufen. Ich bin romantischer als ich es mir eingestehe. Als ich es mir in meiner Partnerschaft erlauben kann.
14. Juli
Sitze mit Chips und Wein auf dem Sofa und sehe "Frankie & Johnny", eine anrührende Geschichte über die unglaublich große Liebe eines Mannes einer verletzten Frau gegenüber. Mein "Johnny" liegt neben mir und schläft. Zur Zeit habe ich das Gefühl, dass wir nur noch funktionieren in unserem Alltag - Romantik jedenfalls ist weit weg. Dass ich weine, merke ich gar nicht gleich. Ich bin überrascht über meine heftige Reaktion und kann sie zuerst gar nicht einordnen. Es sind nicht die gewöhnlichen Tränen der sanften Rührung über eine romantische Liebesszene, sondern Tränen über uns. Ich sehne mich auch nach so einer großen Liebe! Werner ist zur Zeit so abwesend und wenig einfühlsam. Naja, heute könnte es auch PMS sein. Ich habe das Gefühl, zu kurz zu kommen. Anerkennung kommt momentan keine, eher Kritik. Ich spüre, dass meine Uhr abläuft, sehe es an den Mädchen, sehe uns beide altern, habe Angst davor, dass mir das Leben unter den Händen zerrinnt.
Nachts träume ich von einem Meer, das immer kälter wird. Ich habe Angst, aber ich halte es aus. Rolle mich ein wie ein Embryo vor Traurigkeit, jemand nimmt mich in den Arm und wiegt mich sanft. Alles soll gut werden. Frankie & Johnny – ich möchte auch mit so einer großen Liebe überschüttet werden, auch so unverdient, gegen allen Verstand. Ich möchte auch einen Mann haben, der so um mich wirbt - selbst wenn ich aus irgendwelchen Gründen ekelhaft zu ihm bin ...
13. September
Ich habe es gut erwischt in den Herbstferien. Es ist so gemütlich diesmal. Anna hat sieben Videos von ihrer Freundin ausgeliehen und sieht sich mit Lena jeden Tag einen anderen Liebesfilm an. Wie sie diese Filme auf einmal lieben! Bisher fanden sie sie immer langweilig. Wir sehen manche Filme zu dritt an und der Prinz schläft zufrieden daneben, hofft, irgendwann wach geküsst zu werden. Heute finde ich das nett. Aber ich sehe auch, wie die romantischen Vorstellungen genährt werden in den Mädchen und bezweifle, ob sie sich Gutes tun mit dieser neuen Leidenschaft für Happy-End-Heile-Welt-Liebesfilme. Wobei ich nicht glaube, dass ich etwas dagegen anrichten könnte. Vermutlich ist dieses Bedürfnis in uns Frauen genetisch verankert. Ich habe in ihrem Alter Groschenromane verschlungen. Aber die Gefahr, sich ein Traumbild zu entwerfen und die realen zukünftigen Partner daran zu messen, ist groß. Vielleicht schützen sie diese Filme andererseits ja vor einer frühen Partnerschaft, weil der Prinz auf sich warten lässt?
14. September
Gestern sahen wir "Good Will Hunting". Zwei Liebesgeschichten in einem Film - für jeden von uns etwas dabei, eine raffinierte Mischung: Der Psychologe, dessen Frau nach einer langjährigen vollkommenen Ehe und Liebe gestorben ist und der Junge, der Angst davor hat, sich zu offenbaren. Der aber auch erkennt, dass er Heilung findet bei dem Weiblichen, zumindest Trost, Annahme, Liebe. Beide finden in ihren Partnern eine Ergänzung in ihrer Unvollkommenheit.
Heute sahen wir "Brot und Tulpen", ein Film über eine Frau, die sich aus dem Gefängnis ihrer armseligen Ehe befreit und durch die Liebe eines anderen Menschen die Freude an sich selbst und am Leben wieder entdeckt.
20. September
In diesen Ferien kamen dann noch "Vier Hochzeiten und ein Todesfall", "Notting Hill", "Die Braut, die sich nicht traut", - dieser treu seiner Angebeteten hinterher jagende Vollblutmann, getrieben von einem einzigen großen Motiv: eine ausschließliche, überdimensionale Liebe zu einer Auserwählten – welche Frau wäre dagegen immun?
Selbst "Forrest Gump" in seiner geistigen Beschränktheit strahlt diese Liebe aus, nach der Frauen sich sehnen. Bedingungslos, lebenslänglich, ausschließlich, moralisch einwandfrei. Seufzen im Wohnzimmer ... .
Ini
Jetzt sitze ich hier und denke nach über die Wirkung solcher romantischen Storys. Man könnte süchtig werden nach solchen Filmen - ich beobachte, dass auch ich gefährdet bin in meinen Emotionen, je nach Härte der Droge. Nur: Wenn solche eigentlich ja schönen Filme schon mich, die ich mir einbilde, in einer relativ stabilen, durchkämpften Ehe zu leben, unzufrieden machen können mit meinem alltäglichen Romancier an meiner Seite, der mir längst nicht mehr stündlich solche schmachtenden, leidenden Blicke hinterher wirft, was tun sie dann erst mit Frauen, die große Defizite in ihrer Partnerschaft empfinden? Verstärken sie nicht auf ungesunde, wenig hilfreiche Weise die Sehnsucht nach dem "Richtigen", dem Märchenprinz, dem romantischen Kavalier, dem tief schürfende Gedanken schreibenden Fremden ("eMail für dich")?
Eine andere, sehr wohltuende Wirkung hatte auf mich der Film "An deiner Seite". Dass eine Liebe, die schon ziemlich abgeschliffen war, wieder neu auferstehen kann, weckt Hoffnung. In dem Film wird kein auf wenige tolle Höhepunkte verdichtetes Märchen gezeigt. Das hier ist vertrautes Ehe-Terrain, Alltag. Der Film macht Mut, Romantik wieder aufblühen zu lassen, selber das neue Ja auch immer wieder zu geben, auch wenn der Weg schmerzhaft sein kann zu einer neuen, tiefen Einheit. Er zeigt nicht das Feenhafte in der Frau, kreiert nicht den Prinzen im Mann - und deshalb verliebe ich mich auch nicht in den Darsteller, sondern kann mich in hohem Maß mit der weiblichen Hauptrolle identifizieren. Lebenshilfe ...
Was können romantische Liebesfilme in mir als Frau bewirken? Erkenne ich mich selbst wieder – oder sind das alles Hochglanz-Frauen, die wenig mit dem wirklichen Alltag des Lebens zu tun haben? Erkenne ich Elemente meiner Liebe? Rührt der Film an etwas, das in meinem Leben ist? "Ja, so würde er auch um mich kämpfen!" "Ja, so romantisch war bei mir auch das erste Mal!" "Ja, wenn ich so krank wäre, würde er auch so bedingungslos zu mir halten!" Oder: Weckt er nur Sehnsucht nach etwas, was ich nicht haben kann mit diesem real existierenden Mann an meiner Seite, weil er einfach völlig anders ist?
Verstehe ich das Männliche besser? "Ja, sie haben Angst, ihr Innerstes nach außen zu kehren, ich kenne das bei meinem Mann auch" oder "Ja, sie brauchen diese Unabhängigkeit, Einsamkeit, Kumpels".
Oder geht von diesen Filmen eine Gefahr aus? Ich entdecke einige ungute Folgen, wenn ich die romantischen Filme allzu ungefiltert an mich heranlasse. Wie die Gefahr bei Sexfilmen das Vergleichen ist, ist es das auch bei romantischen Liebesfilmen. Sagte nicht schon Luther, dass das Vergleichen vom Teufel ist? Ist es nicht so: Frauen brauchen Liebe, um Freude am Sex mit ihrem Mann zu haben - Männer brauchen Sex, um die Liebe zu ihrer Frau zu erhalten?
Ich merke: Frauen können durch Liebesfilme nicht weniger gefährdet sein als Männer durch Sexfilme. Romantische Liebesfilme können Frauen genauso gefährlich werden wie erotische für Männer. Ich steigere mich hinein in eine Welt der großen Gefühle, immerwährender Happy Ends – und vergleiche mit meinem real existierenden Mann in einem Alltag voll komplizierter Herausforderungen in Beruf und Familie. Am Ende nähre ich völlig unrealistische Erwartungen an einen Partner, der nach der Arbeit müde, gestresst und ohne tolles Drehbuch die heimatliche Türschwelle überquert. Statt auf die guten Seiten wird mein Blick auf die Defizite gelenkt – und davon gibt es sicher in jeder Ehe immer wieder welche (... und zwar auch bei mir selbst!). Wo ist der Alltag in diesen modernen Märchen-Filmen? Wir sehen nur den Beginn der Liebe. Wie würde der Alltag der Filmhelden nach zwei Jahren aussehen? Ist dann Pretty woman noch immer bei ihrem Prinz? Sind sie raus aus dem Verliebtsein und haben wirkliche Liebe gelernt, Treue – die auch mit den Schattenseiten unserer gegenseitigen Persönlichkeiten leben lernen will?
Achten wir doch einmal auf unser Gedankenkino während und nach so einem schmachtenden Film mit dem wahren Helden - was ist mit unseren Gefühlen anschließend, Stunden später, am Tag danach? Wie sehen wir unseren Partner, wie begegnen wir ihm? Ich habe keinen Mann, der mich auf Händen trägt. Er steht nicht auf die Nummer mit dem Mantel und den Rosen. Er mag dynamische Frauen mit Eigeninitiative, die stark sind und nicht jammern. Er hält nichts von Schenken, Romantik, Lobhudelei. Entsprechend empfindlich reagiere ich auf schmachtende Liebe, auf Zuvorkommenheit, Wünsche von den Augen ablesen. Und merke zugleich, wie schön man sich mit Hilfe dieser Filme in eine Traumwelt versetzen kann, sich heraus stehlen kann aus dem Alltag, bei dem man kämpfen muss um eine gute Beziehung und nicht immer alles vom anderen geschenkt bekommt.
Ist es meinem Partner gegenüber fair, mich immer wieder auf diese Filme einzulassen? Vielleicht geht es ihm ähnlich wie mir, wenn ich all die erotisierte Werbung um mich herum sehe? An der Straßenecke prangt zur Zeit ein Plakat, mit dem er allabendlich konfrontiert ist. Es zeigt eine Frau in erotischer Stellung beim scheinbar ganz gewöhnlichen Hausputz. So erotisch erlebt er mich in der Regel nicht, wenn ich das Putztuch schwinge. Wie wäre es, wenn er jeden dieser optischen Impulse für bare Münze nähme und mich an der immerwährenden sexuellen Leistungsbereitschaft in Werbung, Zeitschriften und Sexfilmen messen würde? Warum muss auf jedem Cover unserer TV-Zeitschrift so ein anzügliches Vollblutweib prangen? Wann habe ich diese Ausstrahlung im Alltag? Ich bin eine ganz normale Frau in den Vierzigern. Und im wahren Leben um mich herum sind lauter Durchschnittsmänner und Durchschnittsfrauen. In der Gemeinde, beim Metzger, im Zug – vollkommene Exemplare sind dem Film vorbehalten. Und dann mein stinknormaler "Durchschnittsmann", den ich liebe und den vielleicht eine andere gar nicht haben möchte, dessen Originalität vielleicht außer mir niemand so gut erkennt. Welch ein Original Gottes, wenn ich mir nur die Zeit und Geduld und Liebesbereitschaft nehme, das herauszufinden?
An einem "Morgen danach" höre ich auf einer alten "Feiert Jesus–CD" ein Lied von ProJoe, das mir hilft:
"Tief in mir hab ich Sehnsucht nach dir, Sehnsucht, die mich zu dir drängt. Tief in mir eine Flamme ganz sacht, und ich wünsch mir, dass sie wie ein Feuer brennt. Fach die Liebe zu dir neu in mir an, dass dein Heiliger Geist neu in mir wirken kann. Lass mein Herz mit deinem schlagen, denn mit dir kann ich es wagen. Und still du die Sehnsucht tief in mir."
Jesus soll meinen Mangel ausfüllen. Mein Mann kann es nicht. Es wäre eine Überforderung.
Schritte ...
- Wo bin ich gefährdet, andere (oder mich selbst ...) an den Maßstäben moderner Märchen zu messen?
- Wo muss ich andere (oder mich selbst) entlassen aus falschen Ansprüchen? Wo muss ich neu kämpfen um hohe Ziele?
- Wo verliere ich über der Suche nach dem Idealen die Dankbarkeit für das Reale aus den Augen?
- Überfordere ich meinen Partner mit Erwartungen, die nur Gott selbst ausfüllen kann?