Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Family - Beiträge aus BBs Notizen 

Schwellenangst

Kategorie: FHF BBs Notizen

Von: family 03/06

Urlaub mit Freunden an einer Felsküste. Leicht amüsiert beobachtete ich sie beim Schnorcheln. Wie das aussah, wie sie da mit Atemrohren auf dem Wasser herumtrieben – irgendwie unbeholfen und unspektakulär! Und wie herrlich plump sie mit ihren Riesenflossen aus dem Meer watschelten …
Sollten sie doch gucken, wenn sie unbedingt wollten, ich konnte mich zügeln. Mich würden sie nicht in dieses kalte Wasser voller Seeigel und Feuerquallen reinkriegen. In Wirklichkeit war ich träge, wasserscheu und hatte Angst vor meiner eigenen Ungeschicklichkeit im Umgang mit dieser Ausrüstung – jedenfalls kam ich mit der Haltung bis zum vorletzten Tag ungeschoren davon. Bis einer von ihnen mich unter den Armen packte und meinte, er würde nicht nach Hause fahren, bevor er mir nicht das Schnorcheln beigebracht hätte.
Da half kein Argumentieren, kein Hochmut und kein Zieren – plötzlich fand ich mich mit fremden Gummischuhen an den Füßen und Taucherbrille im seichten Wasser wieder.
Ich hatte Angst, mit dem Atmen nicht zurecht zu kommen, Feuerquallen zu streifen, einen Wadenkrampf zu bekommen, zu erfrieren, ich hatte Angst, nichts zu sehen.
Es kostete mich einiges, durch die Wasseroberfläche zu tauchen. Noch nie hatte ich einen Blick da hinunter geworfen und ich gruselte mich. Mein Freund half nach, ermutigte mich mit praktischen Tipps, schubste mich hartnäckig, war da. Ich gewöhnte mich an die Kälte. Ich gewöhnte mich an den Atemschlauch. Ich trat in das Meer ein, ohne viel zu erwarten.
Was ich sah, war eine Offenbarung! Freundliches Blau überall! Wo ich trübe Dunkelheit vermutet hatte, fand ich ein lichtes Universum, einen stillen Ort voller Farbe und Licht. Ich war fassungslos. Weiter vorne, noch ziemlich diffus, bewegte sich etwas. Also schwamm ich hin, weil ich mir das anschauen wollte. Und so, wie das Leben um mich herum an Form und Farbe gewann, entrückte die Welt über mir ins Unwirkliche. Die neue Welt war jetzt die Realität und ich war hingerissen. Ein großer Schwarm gelbgrau gestreifter Fische - keine Ahnung, wie sie sich absprachen - schwamm synchron unter mir her, durch eine Landschaft von Felsschluchten, Sandbänken und hin- und herwehenden Pflanzen. Ich sah Seegurken, Seeigel, einen Oktopus, Schwärme von kleinen und größeren Fischen, Quallen und Anderes, Unaussprechliches. Noch weiter vorne war noch mehr Leben, also schwamm ich noch weiter…
Es war unglaublich: Flossen an, in die Brille spucken, Schnorchel in den Mund, sich einfach treiben lassen und staunend nach unten sehen - welch eine Entspannung! Mir war egal, wie das von oben aussah. Ich fühlte mich leicht, stromlinienförmig und beschenkt. Ich LEBTE, hier und jetzt. Ich durchquerte Felsspalten, schwamm um kleine Inselchen, sah den Wellen von unten zu und war kaum noch aus dem Wasser zu bekommen, fasziniert von dieser neuen Welt unter der Oberfläche, die gar nicht neu war, nur in meiner Wahrnehmung.
Bisher wähnte ich beim Schwimmen die Welt unter mir dunkel und leer. Meine Wirklichkeit war die, die ich wahrnahm. Ich hätte es wissen können, die anderen hatten davon erzählt – aber welch ein Unterschied, es zu SEHEN! Die unsichtbare Welt war wirklich voller Leben! Die Meeresoberfläche war keine Begrenzung, nicht das Ende der Welt, sondern eine dünne, durchlässige Linie, unter der eine andere Wirklichkeit existierte, unabhängig davon ob ich sie kennen wollte oder nicht.
Bisher hatte ich es höchstens geahnt, wenn ich die andern beobachtete, jetzt verstand ich: Nur wer die Oberfläche durchdringt und die gewohnte Welt hinter sich lässt, kann die andere Wirklichkeit erleben.
Plötzlich wurde etwas vom Himmel für mich vorstellbar: Der Himmel ist da - bereits jetzt - unsichtbar zwar, aber dennoch wirklich. Ich kann seine Realität leugnen oder ignorieren, aber unabhängig davon wie ich darüber denke, ist der Himmel da! Er grenzt an die Welt, in der ich lebe und die Wand dazwischen ist dünn und durchlässig.
Angst und Bequemlichkeit können hindern, sich darauf einzulassen, aber wer die Hürden  überwindet, möchte sich nicht mehr mit dem Leben an der Oberfläche begnügen.
Allein hätte ich es nie gewagt. Ich hätte weiterhin zugesehen, wie die anderen abtauchen, mit einer Mischung aus Neid, Bewunderung und Schadenfreude, einer Art gezügelter Selbstzufriedenheit und freiwilliger Begrenzung. Aber als mir jemand half, die Grenze zu durchtreten, war ich voll Staunen, Dankbarkeit und Hunger nach mehr. Ich werde nicht mehr auf diese Bewusstseinserweiterung verzichten wollen. Ich werde mir eine eigene Ausrüstung zulegen, um neues Land zu erobern. Ich habe eine Ahnung davon bekommen, wie klein ich bin und wie groß, kreativ und verspielt Gott ist.
Wer einmal dem unsichtbaren Gott begegnet ist, wird seine Wirklichkeit nicht mehr ignorieren. Er ist nicht mehr derselbe. Er hat einen neuen Erfahrungshorizont, einen weiteren Blick, mehr Dankbarkeit, Durchblick.
„Das ist die ständig wiederkehrende Versuchung. Ich gehe hinunter an das Wasser, doch statt zu tauchen oder zu schwimmen oder mich treiben zu lassen, plansche und spritze ich herum, ängstlich darauf bedacht, mich nicht in die Tiefe zu begeben, und halte mich an dem Rettungsseil fest, das mich mit meinen zeitlichen Dingen verbindet.“
C. S. Lewis (in „Ein Versprecher“, gefunden in „Ein Jahr mit C. S. Lewis“ s. 33)