Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Family - Beiträge aus BBs Notizen 

Ein halbleeres Glas ist auf jeden Fall positiv!

Kategorie: FHF BBs Notizen

Von: family 01/06

Der Wecker klingelt. „Schon wieder ein Tag vorbei“, muffle ich Richtung Werners Bettseite.
„Schon wieder ein neuer Tag!“, grinst der, unerträglich optimistisch.
Ich schleppe mich ins nächste Zimmer. „Guten Morgen, Jan!“ Jan brummt, umringt von einem Rudel Stoffhunde. „Tut mir Leid, Mama. Ich schlaf noch.“ Ich schmunzle.
Seine Gegenwehr ist nur halbherzig und zehn Minuten später stolpert er in die Küche. „Oh Mann, blöde Hausschuh!“
„He, Jan, ich bin eine Frau und das sind meine Hausschuhe!“
„Oh, liebe Hausschuh! Charly, mein Großer! Darf der Hund mir guten Tag sagen? Cindy! Miau! Wenn sie halt nicht will, will sie halt nicht. Mama, wo ist mein Schlüssel?“
Das Haus erwacht zum Leben ...
Jeden Morgen, wenn nacheinander alle das Haus verlassen und sich jeder auf seine Art von mir verabschiedet, fliegen mich zwei Gefühle gleichzeitig an: Bangen, ob wir uns gesund wiedersehen und Erleichterung, allein zu sein. Werner geht meist zuletzt und wirbelt eine Weile herum, bis er Schlüssel, Handy, Geldbeutel und Timer beisammen hat. Manchmal braucht er dafür zwei Anläufe, dann klingelt er noch mal, küsst mich, stöhnt im Hinblick auf eine Sitzung und weht davon.
Jetzt gehört die Küche mir. Ich schiebe die Tageszeitung zur Seite und breite meine sieben Sachen aus, Bibel, Tagebuch, Gebetstagebuch, Buch, Zeitschriften. Ich liebe es, vor der Arbeit Pause zu machen. „Pause“ kommt von innehalten. Meinen Geist nach innen halten. An manchen Tagen ist diese Stille am Morgen die einzige Stille gewesen.
Wieder ein Tag ... Wieder eine neue überschaubare Zeiteinheit, die mir gegeben ist zu gestalten, mit Leben zu füllen, auszukosten, vorüber ziehen zu lassen und am Ende wieder zurück zu geben. Eine Zeit voller Alltag und ungewöhnlicher Momente, je nachdem worauf ich meinen Blick fokussiere.                                                                            
Eine Freundin ruft an, ob wir uns treffen, aber sie will ihre sichere Winterhöhle nicht verlassen. Sie hat Angst vor draußen und verspricht sich nichts davon. Wir verabreden uns zum zweiten Frühstück und ich ziehe mit dem Hund alleine los. Alltag ...
Als ich am See ankomme, raubt mir der Anblick fast den Atem. Die Sonne bricht genau mir gegenüber durch die Wolkendecke und taucht den kleinen See in weißes Licht. Gras, Schilf, alles ist weiß von Raureif. Aus dem Wasser steigen weiße Nebelschwaden, die auf mich zuwehen. Ich gehe vor ans Ufer und habe das Gefühl, in den Wolken zu stehen. Ich wüsste gern, wie sich das anfühlt, in diesen Nebel einzutauchen, beuge mich vor, aber der Nebel teilt sich und strudelt an mir vorbei. Der ganze See gerät dadurch in Bewegung. Ich begegne keinem Menschen. Werfe dem Hund den Ball, hole ihn immer wieder aus dem Geäst hoher Bäume, weil ich nicht werfen kann, umquere den See. Himmel und See sind wieder grau. Da durchbricht die Sonne, nun hinter meinem Rücken, wieder die Wolkendecke und taucht die kahle Baumreihe zwischen Wasser und Himmel in warmes Rot. Ihr Licht spiegelt sich in den Bäumen und einer frei stehenden Trauerweide. Wieder stehe ich wie angewurzelt da. Eine Joggerin rennt vorbei, sieht es gar nicht.
Ich möchte auch rennen, meine Kamera holen, festhalten, aber es ist einer der kostbaren Momente, die ich in mir bergen muss. Nach einer Minute ist der Zauber vorbei. Grau ist wieder grau. Wird mein Leben auch hin und wieder für kurze Momente in helles Licht getaucht? Kann sich im Grau meines Alltags Gottes Licht spiegeln? Geschenk des Himmels ...
Meine Freundin lässt sich was entgehen! In der Bäckerei blinzelt ein Kunde in die Morgensonne, meint selig: „Was für ein herrliches Wetter bekommen wir heute!!“ Er sagt es mit einer Stimme, als würde er ein unerwartetes Geschenk erhalten. Der Bäcker, dem dieselben Sonnenstrahlen in der Nase kitzeln, meint: „Nützt eh nix. Wärmt nicht einmal. Im Winter geschehen nur eine Menge unnötiger Unfälle wegen dieser blöden tiefstehenden Sonne!“
Variante der Geschichte des halbleeren Glases, Tageslektion ...
Abends sitzen Werner und ich vor dem Ofen. Anna setzt sich dazu. Jan trägt Grießbrei ins Wohnzimmer. „Danke für das schöne Essen! Halleluja!“ Ich grinse, fische gedankenverloren ein Obstmückchen (?!) aus meinem Weinglas und sehe ihm nach, wie es erleichtert losfliegt. Noch einmal davon gekommen. Später sitze ich auf dem Badewannenrand, schmiege meinen Kopf an Anna und blödle rum: „Ich bin ein betrunkenes Obstmückchen...“ Ich bin so glücklich, möchte mein Glück auskosten bis auf den letzten Tropfen.
Der Tag geht zu Ende. Ich habe gearbeitet, geredet und getröstet, zugehört, vernachlässigt, ermutigt, gelästert. Jan hat sich verliebt. Die Nachbarin meiner Mutter ist gestorben. Mein Bruder hat angerufen. Eine Frau hört von meiner Krebserkrankung vor zwei Jahren und sagt: Da seid ihr ja durch schwere Zeiten gegangen! Ja, denke ich, und es fühlt sich unendlich weit weg an. Gott sei Dank. So viele gute Tage hat Gott mir seither geschenkt. So viele Erfahrungen, Erkenntnisse, so viel Lernen, Glück, Liebe, Geborgenheit. Und immer noch Angst vor Trennung durch Tod, vor Leid durch Krankheit, das Wissen um meine Zerbrechlichkeit, um die Vergänglichkeit meines Glücks. Ja, ich habe Schweres durchgemacht. Aber meine Lebenssumme unterm Strich ist positiv! Und Gott wird auch morgen bei mir sein. Und übermorgen ... 

Ein Pessimist sieht die Schwierigkeit bei jeder Gelegenheit, ein Optimist hingegen sieht die Gelegenheit bei jeder Schwierigkeit. Winston Churchill