Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Family - Beiträge aus BBs Notizen 

Ich habe kein gutes Gefühl

Kategorie: FHF BBs Notizen

Von: family 02/05

Jan sagt am Feierabend zaghaft und im Voraus schon enttäuscht von sich und dem Leben: „Na ja.“
Das klingt nicht sehr verheißungsvoll. Ich hake nach.
Jan: „In Englisch habe ich kein gutes Gefühl“.
Ich: „Hast du eine Englischarbeit geschrieben???“ Ich wusste nichts davon.
Jan: „Ja. Ich hab im Bus gelernt. Richtig geübt.“
Hihi. Das kann ich mir vorstellen. Oje... Ich sehe Jan und ahne, was da in ihm vorgeht. Versagt. Durchgefallen. Die anderen schaffen es, er schafft es nicht. Für mich bleibt es sowieso unvorstellbar, dass Jan mit seiner Behinderung in der Lage sein soll, eine weitere Sprache zu lernen, wo er doch mit seiner Muttersprache schon Grundsatzprobleme hat. Egal, jetzt gilt es, Jan aufzubauen. Ihn meine Traurigkeit wegen seiner Grenzen und seinem Schmerz darüber nicht spüren lassen. Wir sehen uns an.
Werners Instinkt schlägt zu. Er nimmt Jan von hinten in den Arm und drückt ihn ganz fest. Von mir würde er sich das nicht gefallen lassen, bei Werner genießt er es. Jan hat jetzt ganz viel Vater um sich herum. „Jan, von mir kriegst du auch Noten! Bei mir gibt es aber andere Fächer. Bei mir kriegst du als Sohn und toller Junge eine Eins! Für Sohnhilfsbereitschaft: Eins bis zwei.“
Jan entspannt sich in den starken Armen.
Werner weiter: „Für Fleiß: Eine zwei. Für lustig und freundlich: Eins. Nett: Eins. Verfressen: Eins!“
Jan kichert empört, lauscht entzückt, Lena lächelt mild.
Werner hält Jan immer noch fest. „Für Duschen: Fünf!“
Jan wehrt sich: „Hey, Werner, ich dusch mich fast jeden Samstag!“ Seine Stimmung ist wieder auf dem aufsteigenden Ast.
Werner grinst: „Also gut, dann zwei. Jan, von mir kriegst du ein gutes Zeugnis! Du bist ein super Sohn!!“ Quietschvergnügt isst Jan seinen Grießbrei, mein Beitrag zur Stärkung der Moral.
Was macht Werner? Er füllt Jan mit Liebe, als er es dringend braucht. Er sagt: Ich nehme dich an, brutto, hundert Prozent. Er sagt: Mitsamt deinen Stärken und inklusive deiner Schwachheit liebe ich dich! Du stammst aus mir. Du bist nach meinem Bild geschaffen. Du bist genau richtig! Bei mir zählt nicht deine Leistung, sondern dein Sein. Genau dann, als Jan an sich selbst zu zweifeln beginnt. Als er sich fragt, ob er in Ordnung sein kann. Als er sich mit den anderen zu vergleichen beginnt.  
Am nächsten Morgen erzählt der Prediger im Gottesdienst von seiner Tochter. Wie sie so ein Gefühl hat wegen ihrer letzten Klassenarbeit. Familiäre Parallele... Er schlägt einen Bogen zu uns und Gott. Wie wir manchmal so ein bestimmtes Gefühl haben. Auf das wir uns gar nicht verlassen können. Er fragt uns, was uns eigentlich Gewissheit gibt, von Gott gewollt, angenommen, geführt, geliebt zu sein.
Da kommt mir Werners Umarmung in den Sinn. Ich habe so ein Gefühl ... dass Gott mir durch Jan auf einer tieferen Ebene etwas zeigen möchte. Das macht Gott manchmal, seit ich Mutter bin, dass ich durch die Kinder etwas über ihn lerne. Göttliche Parallele...
Mir dämmert: Gott gibt mir auch so ein Zeugnis für „gute Sohnschaft“. Auch er wertet aus Liebe, nicht nach Leistung. Sein Maßstab ist Barmherzigkeit und Vaterschaft, er freut sich über ehrlichen Bemühungen, ohne das letztliche Ergebnis überzubewerten.
Ich brauche die Gewissheit, dass ich von Gott angenommen bin, geliebt, gehalten, geführt. Sonst bin ich abhängig von anderen Menschen. Gefangen in Selbstzweifeln und Resignation. Unbestimmten Gefühlen ausgeliefert.
Wie Jan darf ich solche Gefühle äußern, darf ich meine Zweifel an den Himmel schreien: Ich bin mir nicht sicher, Gott. Obwohl du es sagst. Wie Jan darf ich mit Gottes fester Umarmung rechnen. Mit seinem Humor, seinem Augenzwinkern, seinem Feingefühl.