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Pünktlichkeit

Kategorie: FHF BBs Notizen

 

Ich bin 39 Jahre alt. Aber irgendwie habe ich grundsätzlich etwas noch nicht kapiert. Ich habe ein Problem mit Pünktlichkeit. Und kein kleines. Gerne schiebe ich die Schuld auf Werner. Oder die Kinder. Aber wenn ich mich ehrlich erinnere, habe ich es nie geschafft, nicht als letzte Mutter mein Kind vom Kindergarten abzuholen. Weiter zurück: Ich sitze noch beim Frisör, als die Hochzeitsgäste bereits im Hof stehen. Als ich in Heidelberg arbeitete, jung und kinderlos, rannte ich jeden Morgen zum Bahnhof. Jeden Morgen.
Ich könnte mit Lena sagen: „Das ist meine Geborenheit. Ich kann nichts dazu. Ich bin eben so.“ Aber ich will so nicht bleiben. Ich hasse es allmählich. Vielleicht ertrage ich in meinem hohen Alter auch die Atemlosigkeit weniger. Heute Nacht hatte ich stundenlange Alpträume. Mit dem Gedanken, dass ich morgen früh um 8.56 am Bahnhof stehen muss, um nach Frankfurt zu fahren, bin ich eingeschlafen. Nass geschwitzt versuchte ich die halbe Nacht, fertig zu werden mit dem Packen meiner Tasche. Ich habe gepackt und gepackt, aber ich bin einfach nicht vorangekommen. Und dann habe ich den Zug um drei Minuten verpasst.
Gewarnt trete ich den Tag an. Das soll mir auf keinen Fall passieren. Ich plane: Um 8.30 Uhr muss ich das Haus verlassen, um gemütlich mit dem Rad zum Bahnhof zu fahren. Abfahrt ist 8.56 Uhr.
Um 8.30 Uhr rase ich zwischen Bad und Schlafzimmer hin und her, probiere verschiedenen Ohrringe, BHs (falls ein Träger rausguckt), bügle noch mal meine Bluse, suche eine Feinstrumpfhose, falls ein Temperatursturz zwischen Forst und Frankfurt wäre, teste zwei Paar Schuhe - alles in der verhängnisvollen Fallstrickgewissheit, dass ich Pufferzeit eingeplant habe und stelle, als ich das nächste Mal auf die Uhr blicke, entsetzt fest: 8.46 Uhr. Himmel!
Und dann geht alles wieder von vorne los. Hektisch alles in die (zu klein gewählte) Tasche stopfen, jetzt könnte ich noch Vati fragen, ob er mich fährt, aber ich habe mich aufs Rad festgelegt und bin in der Hektik unfähig, Entscheidungen zu treffen.
Und so rase ich in Höchstgeschwindigkeit den kürzesten Weg gen Bahnhof. Und das ist der, den Lena neuerdings fährt, über den stillgelegten Weg, der ohne Schranke über die Bahngleise führt. Jetzt erst merke ich, wie kriminell gefährlich das ist, was Ronja Räubertochter da treibt und dank meiner hohen Absätze scheitere ich fast am Sandhügel. Ein Blick auf die Uhr und zwei Fußgänger, die mich streng beobachten, treiben mich weiter, setzen Reserven frei, geschafft. Ich rase durch die Stadt mit meinem elegantesten Outfit, das ich besitze und fahre im Schweiße meines Angesichtes gleichzeitig mit dem Zug ein ... Nass verschwitzt lasse ich mich in ein Abteil fallen, das noch einen Platz freihat und schnaufe wie ein gehetztes Walross noch Minuten später vor mich hin. Ich glaube, ich weiß, was mein Jahresthema 2002 sein wird.