Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Family - Beiträge aus BBs Notizen 

Keine Angst vor der Energie der kleinen Lady

Kategorie: FHF BBs Notizen

 

Bei meinem morgendlichen Hundespaziergang treffe ich einen lieben Bekannten, einen jungen Vater mit seinen zwei kleinen Kindern und der Neuerscheinung „Monsieur“, dem mittelgroßen Hundewelpen. „Monsieur“ vorne, “Monsieur“ hinten, dazwischen viele unwirksam verhallende Anweisungen an die Kinder, die ihren Vater tyrannisieren, wenn es Monsieur nicht tut. Der junge Mann hat keine Chance, sich mit mir zu unterhalten. Unentwegt ist er am erklären und erziehen, aber ich sehe keine einsichtigen, erzogenen Kinder. Es tut fast weh zu sehen, wie viel er sich um Harmonie bemüht und wie wenig Harmonie dabei entsteht. Erinnert mich an ein längst vergangenes Erlebnis im Hallenbad, als unsere Kinder noch sehr klein waren. „Jaqueline, das tut der Mami aber weh“, sagte zu meinem größten Erstaunen vorsichtig eine Mutter zu ihrem Kind, das ihr als Reaktion auf eine kleine erzieherische Maßnahme bewusst Schmerzen zufügte und ihr dabei herausfordernd in die Augen sah. Es sah nicht so aus, als geschehe das zum ersten Mal. 
Wir gehen auseinander nach einer unbefriedigenden, eigentlich nicht statt gefundenen Begegnung. Nicht nur dass der dreifache Nachwuchs verunglimpft hat, dass sich zwei Erwachsene unterhalten können, ich habe auch ein wenig Sorge um diese feine Familie, in der zwei freundliche, intelligente Erwachsene es nicht wagen, ihren Kindern einen angemessenen Rahmen vorzugeben, in dem diese gedeihen können. Die aus einer (völlig unbegründeten) Angst, der kindlichen Seele Schaden zuzufügen, die Verantwortung nicht wahrnehmen, liebevoll aber klar Grenzen zu setzen.

Nachdenklich fahre ich zur Arbeit in die Buchhandlung. Und erlebe ein Déja vu: Eine junge Mutter tastet sich vorsichtig an der Hand einen fünfjährigen Jungen in die Ladenmitte. Sie sagt, mit vorsorglich eingezogenem Nacken: „Lennart, die Mama möchte aber auch ein wenig die Bücher hier ansehen, ja?“ Ich will Lennart unsere Spielecke zeigen. Erschrocken blickt sie mich an und schützt ihn mit abwehrenden Handbewegungen vor diesem meinem Zugriff. Ich staune. Behutsam zeigt sie ihm die Spielecke und versucht sich nach fünf Minuten von ihm zu entfernen. Just in dem Augenblick stößt Lennart sich allerdings an einem Baustein und muss herzzerreißend weinen. Er schluchzt geschlagene zehn Minuten lang, Mama setzt sich erst mal wieder hin und tröstet ausgiebig. Dies soll keines der Kinder sein, die im Stich gelassen werden, wenn sie traurig sind. Irgendwann will Mama nun doch stöbern gehen, aber sofort meldet sich Lennarts Aua zurück. Er wimmert „Aber mir tut es so weh, Mama“ und Mama steht ihm weitere zehn Minuten bei. Ich weiß nicht wie es innen drin mit ihrer Geduld aussieht, meine geht allmählich zur Neige. Die ängstliche Mutter tut mir leid, aber noch viel mehr tut mir der kleine Lennart leid. Er hat Mama in der Hand. Eine schwergewichtige Angelegenheit. Nun hat er sie und muss sie die ganze Zeit beschäftigen und an sich binden und findet nicht zu dem was ein Kind eigentlich tun sollte: Geborgen spielen. Seine künstlich aufrecht gehaltenen Emotionen halten ihn und sie im Griff. Die Angst der Mutter, dem Kind zu schaden oder sich zu blamieren hindert sie daran, ihr Leben zu leben. Muttersein heißt nicht, dem Kind das Feld zu überlassen. So unterschiedlich ist es manchmal gar nicht mit den Kindern und den Hundebabys, denke ich: Beide entspannen sich, wenn sie merken, dass ein stärkerer Partner den Überblick und die Lage im Griff hat. Dann sind sie einfach Kind oder Hund und sehr zu genießen, weil sie das Leben innerhalb des Spielraums gestalten der ihnen gebührt.
Diese Verantwortung nicht wahrnehmen heißt dem Kind eine Rolle zuzuordnen, der es nicht gewachsen ist. Wie ein schlecht oder gar nicht erzogener Hund muss das Kind die Zügel selbst in die Hand nehmen und ist heillos überfordert damit. Beide Pole gehören unbedingt zusammen: Liebe und der Mut, Grenzen zu setzen.
Sonst wird sich die elterliche Fürsorge in Überforderung und Wut gegen das Kind wandeln. So ein Rollentausch schadet allen – den Eltern, dem Kind, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überstrapazierten bis nicht mehr stattfindenden Ehe, der ganzen Familie, der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes und somit irgendwann uns allen.
Als ich selbst mit den Launen meiner Tochter sehr zu kämpfen hatte und ratlos war, welche mütterlichen Interventionen erlaubt sind, halfen mir zwei Schlüsselerlebnisse, meinem Instinkt zu vertrauen. Zum einen war ich bei einer Lesung von Irina Prekop, die das Buch „Der kleine Tyrann“ geschrieben hat. Sie ermutigte uns Eltern dazu, unsere brodelnden, überbordenden Kinder anzufassen, zum Beispiel an den Schultern, ihnen fest in die Augen zu sehen, auch mal laut zu werden, klare, deutliche Worte zu reden. Wir bekamen auch die Erlaubnis, uns einer unnötigen Stresssituation zu entziehen und unser Kind vorübergehend aus dem Zimmer zu schicken, bis es sich wieder beruhigt hat. In der Folgezeit erlebte ich, dass diese Art von Klarheit und „Handgreiflichkeit“ verstanden wurde. Wenn meine Kinder laut und wild wurden, erlaubte ich mir, Energie dagegen zu setzen. Das tat gut, fühlte sich normal an und „funktionierte“.  
Wenn es vorbei war, konnte ich ohne viel Aufsehens wieder liebevoll sein.

Es war gar nicht oft nötig so aufzutreten. Als meine schreiende Tochter meine Liebe und meine konsequente angstfreie Haltung spürte, kapitulierte sie und schmiegte sich an mich, wenn ich sie festhielt. Sie gewann Respekt, wenn ich sie aus dem Zimmer schickte bis sie sich beruhigt hatte. Es entlastete unsere familiäre Gesamtsituation enorm. Als sie aus dem Trotzalter in die Pubertät wechselte und erneut unausgewogen und anstrengend wurde, sagte mir eine Freundin: „Bianka, halte die Energie der kleinen Lady aus! Sie wird erleichtert sein. Es geht einfach darum, den längeren Atem zu haben.“ Es half!
Neulich kam im Fernsehen eine Talkshow zum Thema Erziehung. Ein am Leben gereifter Vater meinte: „Wenn ein Kind im nachhinein von seinem Vater sagt: ‚Er war ein bisschen streng’ - dann hat der Vater vermutlich einiges richtig gemacht.“
Das wollte ich schon lange mal gesagt haben …