Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Family - Beiträge aus BBs Notizen 

Ich schreibe, also bin ich

Kategorie: FHF BBs Notizen

Von: family 01/05

Ich bin schreibmüde. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass ich überhaupt müde bin. Astrid Lindgrens Zitat „Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hinzuschauen“ ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Ich habe nicht wenig Lust, eine Schreibpause einzulegen.
Genau da fragt die Redaktion an, welches Thema mir gerade unter dem Nagel brenne. Ob ich darüber nicht schreiben möchte. Ich gehe in mich, aber da ist kein salonfähiges Thema, worüber ich schreiben könnte. Nichts, das die Menschen amüsiert, ihnen den Tag verschönert oder wenigstens die Stunde.
Ich lebe meinen Alltag dankbar und zufrieden, beobachte, wie er so naturgegeben und unaufhaltsam dahinfließt, die Kinder (und wir zwei Altvorderen) dabei älter werden und das einzige wiederkehrende Thema, das in mir ein und ausgeht, das mit mir umgeht, das ich schweigend und fragend anblicke, dem ich mich schüchtern annähere, ist das Leben an sich, oder vielmehr: das Sterben. Das Leben im Angesicht des Sterbens um mich herum. Und des Sterbens, das in mir mit dem Tag meiner Geburt schon begonnen hat. Nicht gerade ein erbauliches Thema. Ich möchte lieber leben als über das Leben schreiben.
Schriftstellerkrise? Lebenskrise?
Leben geschieht schon lange. Davon bin ich oft Zeuge. Aber auch Sterben geschieht. Um mich herum. Es wird auch mich betreffen. Mein Leben hat sich verändert seit meiner Tumoroperation vor anderthalb Jahren. Ich verändere mich. Wenigstens bleibt Gott gleich.
Ein Freund ist gestorben. Sein Tod geht mir sehr nach. Wie viel Unwichtiges gibt es im Alltag, das mich jetzt nicht interessiert. Einen anderen Freund habe ich mit weichen Knien im Krankenhaus besucht. Er hat großes Glück gehabt, Gott hat ihn bewahrt. Eine Mutter, die ich kenne, hat ihr Baby verloren. Hat Gott es nicht bewahrt? Die Freundin meiner Tochter ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Sie wollte nichts von Gott wissen. Hatte er einen guten Plan mit ihr? Weggeschobene Fragen drängen sich wieder nach vorne.
Ein Freund ist gestorben - worüber will man da noch schreiben? Mit großen Augen gehe ich durch das Leben, weil geschah, was nie geschehen durfte. Ich weiß, dass das erst der Anfang ist. „Gewöhn mein Herz an die Ewigkeit“, hat Thea Eichholz-Müller getextet, als ihr Mann sterbenskrank war. Ewigkeit - eine Dimension, die näher rückt.
Warum erlebe ich vor allem dann eine Ahnung von Gottes Größe und Macht, wenn mein Herz einen Riss bekommt? Warum kommt mir die andere Welt vor allem im Leid so nah? Warum begegne ich Gott meist in der Tiefe? Bin ich nur dort sensibel für sein unsichtbares, unendliches Sein und Walten? Manchmal ist die Wand hauchdünn zwischen unserer Welt und der Ewigkeit. Wo Himmel und Erde sich berühren, geht es nicht ohne Erschütterungen zu - aber ich möchte diese Schnittstelle nicht nur im Leid finden, ich möchte Gott gern wieder öfter dort spüren, wo ich glücklich bin und beschenkt.
Mein Lebensgefühl verändert sich, je mehr ich in diesen Kreis von Werden und Vergehen trete. Manches interessiert mich nicht mehr. Anderes dafür umso mehr. Mein Verständnis für Menschen, die Schweres erleben, wächst behutsam. Meine Lust an Smalltalk sinkt dramatisch. Ich liebe das Leben (noch) mehr als früher. Und ich fürchte mich (noch) mehr als früher. Dennoch wage ich manches, was ich bisher nicht gewagt hätte. Ich hänge mehr am Leben und ich kann mir eher vorstellen, eines Tages abzutreten, um in eine andere Welt überzuwechseln. Eine seltsame Mischung.
Ich beobachte, wie andere Christen mit Leid, Tod und Trauer umgehen. Ich brauche glaub-würdige Wegbegleiter, um Mut zu sammeln für meinen eigenen Weg. Geschwister, die festhalten an Gott, auch wenn alles wankt. Durch ihr Zeugnis wird Gott für mich spürbar. Und vertrauenswürdig. Selbst wenn ein Mensch stirbt, um dessen Heilung ich gebetet habe. Ich habe ihren Glauben nötig, weil Gottes Unsichtbarkeit für mich immer wieder ein Stolperstein ist.
Was möchte Jesus von mir? Er durchschaut die Oberfläche meiner Zufriedenheit, die von meiner Hoffnung abhängt, dass Gott meine Erwartungen erfüllt. Wenn ich glaube, Gott erkannt zu haben, nimmt er mir diese Täuschung. Gott lässt sich nicht vor unsere Erwartungen spannen. Es bleibt Herausforderung, Gott für vertrauenswürdig zu halten. Jesus möchte, dass ich an seinem und meinem Vater festhalte, auch wenn ich enttäuscht bin. Er betet dafür, dass mein Glaube nicht aufhört.
Könnte ich wirklich ohne schreiben leben? Nein, wieder hilft es mir, Dinge, die geschehen, zu sehen. Ich finde keine Rezepte, die ich weiter geben kann. Ich finde Fragen, offene Fragen. Ich mache sie zu einem Gebet.
Simon, Simon! Pass gut auf! Gott hat dem Satan erlaubt, euch auf die Probe zu stellen und die Spreu vom Weizen zu scheiden. Aber ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört. Wenn du dann wieder zu mir zurückfindest, musst du deinen Brüdern Mut machen! (Lk 22,31 ff)