Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Family - Beiträge aus BBs Notizen 

Verschlafene Gedanken

Kategorie: FHF BBs Notizen

Von: family 04/04

Gestern bin ich erst um zwölf ins Bett aus Angst, etwas zu verpassen. Das Leben vielleicht. Um eins weckte mich die Katze, um zwei, drei und vier Werners Schnarchen, das wie das Tönen eines Tiefseewals klang, der über weite Fernen mit seinen Lieben kommuniziert. Kann es sein, dass er sich in der Tiefe seiner Seele weit von uns entfernt fühlt? Um fünf verbellte der Hund die Zeitungsfrau, um sechs tönte ein Handy aus einem benachbarten Zimmer. Jetzt ist sieben, der Wal frisch und ausgeschlafen unterwegs zu seiner Bestimmung und auf mir liegt bleierne Schwere. Meine erste Pflicht habe ich erledigt, meine Nächsten geweckt, Frühstück und Schulbrote gerichtet. Seit einer Stunde kämpfe ich nun dagegen an, zu Anna ins Bett zu sinken. Sie hat Spätschicht und würde es erlauben, trotz ihrer 18 Jahre.
„Dekompetieren“ nennt eine Bekannte den Zustand, in dem ich mich befinde. Das Mehr an Leben, das ich heute Nacht erhascht zu haben glaube, geht mir nun abhanden. Meine Rechnung geht nicht auf. Ich schaffe es, mich an Annas offenem Zimmer vorbeizuschleppen, aus dem mir einladende Wärme entgegenschlägt und dusche stattdessen. Der halbherzige kneippsche Guss am Ende hilft mir zumindest, klarer aus den Augen zu blicken. Beim Föhnen meiner endlich schulterlangen Haare - ich möchte sie noch ein letztes Mal wachsen lassen, bevor ich für immer den schmeichelhaften Kurzhaarschnitt wähle - frage ich mich, ob ich eigentlich noch objektiv beurteilen kann, ob ich längere Haare noch tragen kann oder ob ich nicht unmerklich zu alt dazu geworden bin. Hat sich mein Gesicht schon so verändert, dass man dieses Aha-Erlebnis hat, wenn man mich zuerst von hinten und dann von vorne sieht? Ich weiß, dass es eine sensible Grenze gibt, die ich an anderen Frauen sehr wohl wahrnehme ...
„Kann ich noch einen Minirock tragen?“, fragte ich Anna neulich. Die Antwort war so kurz wie klar: „Nein!!“ Anna will mich als eindeutig erkennbare Mutter, unmissverständlich in der nächsten Generation beheimatet. Was sie nicht braucht, ist eine Mutter der hippen Sorte, Marke „coole Freundin“, die versucht, auf demselben Markt zu konkurrieren wie ihre (konkurrenzlos schöne) Tochter.
Ich kenne meinen Platz: gediegen, seriös, und, um nicht von der anderen Seite des Pferdes zu fallen, einen Hauch modern, meinem Alter angepasst. Die gemäßigte Schlaghose aus Stoff in einer neutralen Farbe scheint angemessen. Augenbrauengepiercte Teenagermütter, die ihre bauchnabelfreien Tops im selben Laden kaufen wie ihre Töchter, sind eindeutig peinlich. Wichtiger ist eine Mutter, die ein offenes Haus hat für die Freunde der Kinder, ein offenes Herz für den Jungen, der morgens um sechs das erste Tages-SMS schreibt, einen offenen gut gefüllten Kühlschrank und um elf Uhr nachts ein offenes Ohr für Freuden, Fragen und Nöte. Immerhin bin ich objektiv alt genug, um Halt, Geborgenheit und Ratschläge zu geben. Schöner noch als das Abhandensein von Krähenfüßen und einem straffen Bauch. Staunend beobachte ich, wie meine Kinder unter unserem Schutz groß und größer werden.
Wenn ich jetzt mit Charly fortgehe, habe ich es geschafft, mein Kreislauftief ohne ermüdenden Zweitschlaf überwältigt. Der Hund hat es verdient, er wäre gestern Abend gern noch ausgegangen und ich habe ihn ignoriert. Wenn ich nur für mich allein verantwortlich wäre, würde ich mich jetzt ganz bestimmt fallen lassen.
Charly wird bald zehn. Er hinkt. Kniearthrose. „Fünf Jahre hast du einen jungen Hund, fünf Jahre einen guten Hund, und fünf Jahre einen alten Hund“, sagt der Volksmund.
Um mich herum Vergänglichkeit. Meine Haare werden grau, meine Kinder erwachsen und der Hund alt. Ich sehe das Werden und Vergehen um mich und bin ein Teil davon. Ich möchte das Leben aufsaugen und werde scheinbar immer lebenshungriger dabei. Ich habe nicht mehr das Gefühl, unendlich viel Zeit zu haben und wenn ich heute Entscheidungen treffen muss zwischen entweder und oder, fallen sie manchmal anders aus als vor einigen Jahren. Meine Entscheidung zwischen dem überfälligen Wohnzimmerteppich und den lang ersehnten Vorhängen oder Urlaub fällt eindeutig zugunsten Urlaub. Man lebt nur einmal ...
Zu meinen Haaren werde ich den Frisör meines Vertrauens fragen. Seine objektive Meinung wird mir immer wertvoller, seit die Männer aufgehört haben, unterwegs nach mir zu sehen. Diese stillen, aufmerksamen Blicke, die wie kleine Tageskomplimente waren, sind versiegt. Innere Schönheit sieht Mann erst auf den zweiten Blick ... Das fiel mir auf, als ich neulich mit Lena in der Stadt war.
Lena ist 16, und mit 16 sind Mädchen einfach nur umwerfend. Da sah ich diese Blicke wieder ... Neulich allerdings, als ich allein mit der Bahn unterwegs war, hatte auch ich einen Bewunderer. Ich schätzte ihn auf Mitte 60 ... Tja. Solange sich der Bewunderer zu Hause noch hin und wieder zu einem anerkennenden Wort hinreißen lässt (was auch etwas nachlässt), muss mir das genügen. Und so übe ich die geistliche Wahrheit: Menschen können unsere Sehnsüchte nicht ausfüllen, nicht auf Dauer. Jesus kann es. Er findet mich schön und sieht mir hinterher. Erschöpft vom Leben und vom Grübeln sinke ich in die Hängematte und lebe meine Bestimmung, die ich heute nacht nicht wahrgenommen habe.
„Seit der Lebensmitte scheint die Zeit noch schneller davon zu eilen. Du brauchst nicht unter der Vergänglichkeit zu leiden. Weil wir mit Gott leben, haben wir jetzt schon Ewigkeit. Zeit, die wir mit Gott verbringen, läuft nicht mehr weg, sie bliebt, ist schon Ewigkeit. Weil wir Ewigkeit haben, haben wir Zeit.“ (Ruth Heil)