Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Family - Beiträge aus BBs Notizen 

Blinde Wut oder heiliger Zorn?

Kategorie: FHF BBs Notizen

Von: family 02/04

Neutral gelaunt fahre ich Richtung Heimat durch meinen Wohnort, der zur Zeit eher einer Baustelle gleicht als dem Bild, das ich von Heimat habe. Ich sehe, dass der Marktstand noch geöffnet ist, halte Ausblick nach einem Parkplatz, entdecke einen einzigen schräg gegenüber, setze den Blinker und warte den Gegenverkehr ab, damit ich abbiegen kann. Da realisiert auch eine entgegenkommende Autofahrerin die Lücke, macht ihre Ellenbogen breit und schafft es mit einer Art Himmelfahrtskommando, noch vor mir reinzuflitzen. Sie nimmt mir einfach meinen Parkplatz weg. Ein Satz aus meiner Kindergartenzeit kommt an die Oberfläche meines Bewusstseins: „Ich hab ihn zuerst gesehen!!“ Meine Empörung ist von derselben Heftigkeit wie vor fast 40 Jahren. Auf meine vorwurfsvolle Mine reagiert sie mit ordinären Gesten eines aggressiven Siegers. Ihr giftiger Gesichtsausdruck ärgert und verfolgt mich noch den ganzen Tag. Oder ist es mein eigener?
Im Supermarkt. Ich lade einen gestandenen Einkaufswagen voll Ware auf das Band. Die ältere Kundin hinter mir trippelt hin und her, drei Dinge auf dem Arm. Meine Güte, ich habe es auch eilig! Gleich wird sie mich fragen, ob ich sie vorlasse. Tatsächlich, sie brummelt etwas von „Essen auf dem Herd stehen“. Wie kann man nur das Haus verlassen, wenn das Essen auf dem Herd steht? Ich bleibe „stark“. Diesmal nicht. Diesmal werde ich mein Recht in Anspruch nehmen. Das „Die-Ersten-werden-die-Ersten-sein“-Recht. „Ich habe drei Kinder, die zu Hause darauf warten, dass ich ein Essen auf den Herd stelle“, entgegne ich unnötig unsympathisch, mit einem unguten Gefühl im Bauch, aber Zustimmung heischend um mich blickend. Man nickt mir anerkennend zu. Es ist mein „gutes Recht“.
Auf dem Heimweg kommt mir ein Fahrer auf meiner Spur entgegen, um gegen die Fahrtrichtung in eine Parklücke zu brausen. Ich habe das Gefühl, seine Aktion hat mich schier das Leben gekostet und starre ihn fassungslos an. Er macht eine abfällige Bewegung, die mir zeigt, dass ich einfach hätte langsamer fahren sollen und er eine reine Weste trägt. Dabei ist er im Unrecht!
Dann mache ich selbst einen Fehler beim Fahren und erlebe eine derart feindliche Reaktion, dass ich schockiert bin. Ich habe niemanden verletzt oder geschadet, ich war nur eine Spur langsam. Ich habe doch nur einen Fehler gemacht ... Haben wir Krieg?
Wer stellt unser Recht her? In der Bibel steht etwas, was unserem Instinkt widerspricht: „Denkt daran, dass es nicht eure Sache ist, euch selbst Recht zu verschaffen. Überlasst dieses Urteil vielmehr Gott, denn er hat gesagt: 'Es ist allein meine Sache, Rache zu nehmen. Ich werde alles vergelten.'" (Röm 12,19)
Schon als Kind hatte ich - vermutlich wie alle Kinder - ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, habe gelitten, wenn ich oder andere ungerecht behandelt wurden. Einmal hängte ich ein Schild über das Pult eines unreifen Lehrers, der seine Defizite regelmäßig in der Klasse auslebte. Es war eine Genugtuung, hinter seinem Rücken zu lesen: „Das Recht des Stärkeren ist das stärkste Unrecht!“ Ein Versuch, das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Später entdeckte ich immer klarer, dass Herbert Grönemeyer recht hat, wenn er singt: „Das Leben ist nicht fair.“ Schon bei Bagatellen war das mein mächtiges Gefühl, aber meine Illusion, dass mit gutem Willen und genügend guten Menschen auf dieser Erde Gerechtigkeit hergestellt werden kann, platzte spätestens, als Jan behindert zur Welt kam. Zwei Jahre Odyssee durch verschiedene Kliniken zeigten mir eine andere Realität. Ohnmacht und Wut, Leid und Not gehörten fortan zum Leben dazu. Wohin mit diesen Gefühlen, wenn sich das Leben einfach nur völlig falsch anfühlt?
„Warum behauptet ihr: 'Der Herr weiß nicht, wie es uns geht! Es macht unserem Gott nichts aus, wenn wir Unrecht leiden müssen?' - Begreift ihr denn nicht? Oder habt ihr es nie gehört? Der Herr ist der ewige Gott. Er ist der Schöpfer der Erde ... Er wird weder müde noch kraftlos. Seine Weisheit ist unendlich tief. Den Erschöpften gibt er neue Kraft, und die Schwachen macht er stark ...“ (Jes 40,27-31) Gott ist ein Perpetuum mobile! Und ich darf schwach sein. Weil er mich stark macht zur richtigen Zeit.
Hat meine Wut dieselbe Qualität wie der heilige Zorn Gottes? Oder entspringt sie einer ganz anderen Herkunft? „Der Herr ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb.“ (Ps 11,7) Ich habe Gerechtigkeit auch lieb. Vor allem, wenn es um meine Interessen geht. Aber bin ich gerecht? Unterscheide ich mich vom Denken vieler, die sich sagen: „Wenn ich an mich denke, dann ist an mich gedacht“? Jesus jedenfalls hatte eine völlig andere Denkart: „Wenn jeder an den anderen denkt, dann ist auch an jeden gedacht.“
Ich suche Situationen, auf der Straße, an der Kasse, in der Familie, wo ich üben kann, auf mein Recht zu verzichten, auf Vor-Rechte, und merke, dass mich das ruhiger macht, dass mir das gut tut. Nicht nach meinem Vorteil zu jagen. Nicht auf mein Recht zu pochen.
„Schlimm genug, dass ihr überhaupt Streit miteinander habt! Weshalb ertragt ihr nicht lieber Unrecht, und warum seid ihr nicht bereit, eher Nachteile in Kauf zu nehmen, anstatt auf euer Recht zu pochen?“ (1. Kor 6,7)