Fromme Hausfrau - Artikel von Bianka - Family - Beiträge aus BBs Notizen 

Mittelmaß - das Maß aller Dinge?

Kategorie: FHF BBs Notizen

Von: family 05/07

Einmal im Jahr treffe ich Ulrike. Das ist ein spannender Abstand. Kaum dass ich sie vom Bahnhof abhole, erzählt sie mir ruckzuck drei neue Missgeschicke aus ihrem Leben, sympathisch wie eh. Dadurch sind wir ohne Umwege auf einem Level, obwohl doch ein ganzes Jahr mit hohem Veränderungspotenzial ins Land gegangen ist. Ein Seufzer der Erleichterung durchrieselt mich. Ulrike plaudert, quasi als Aufwärmer, davon, dass sie gestern ins falsche Reihenhaus einsteigen wollte und es nur merkte, weil ihr Schlüssel auch nach längerem Herumfummeln einfach nicht die dumme Haustür öffnete. Solidarisches Grinsen meinerseits. Ich fühle mich irgendwie getröstet und rehabilitiert. An manchen Tagen sind es die Missgeschicke meiner Mitmenschen, die mich aufrecht halten.
Das sind jene Tage, an denen das Zuverlässigste an mir scheint, dass ich mich nicht auf mich verlassen kann. Bei der Arbeit in der Buchhandlung bin ich dann überzeugt, dass ich dass ich das Urheberrecht auf den Leichtsinnsfehler habe, dass quasi ich es bin, die ihn per se erfunden hat.
Handwerklich liege ich sowieso völlig daneben. Vieles von dem, was ich mit meinem linken Händen anpacke, geht schief, ohne dass ich auch nur im Ansatz verstehe, warum. Geografisch bin ich eine Niete. Wenn man mich im heimischen Park aussetzen würde, würde ich mich garantiert verlaufen. Mein logisches Denkvermögen ist enttäuschend eingeschränkt - trotz der Bescheinigung eines bestandenen Abiturs in der Schublade, trotz all der Jahre Gehirnjogging durch den zeitgenössischen mitteleuropäischen Lebensraum. Wie oft scheine ich die Einzige zu sein, die hier nichts kapiert - es fühlt sich an wie eine Behinderung. Derselbe Gendefekt scheint auch dafür verantwortlich zu sein, dass ich bei Krimis bis zum Schluss keine Ahnung habe, wer der Detektiv ist und sich meine häufigsten Alpträume 25 Jahre nach der Abi-Prüfung immer noch um Mathematikklausuren drehen. Dafür habe ich eine ausgeprägte Neigung zu Fehlerinnerungen. Und die Momente, in denen ich selbstbewusst eine Auskunft gebe und Mitmenschen mir noch ihr Vertrauen schenken, dass diese stimmt, werden immer seltener. Viel häufiger werde ich vom Leben korrigiert. Ich trau mir bald selbst nicht.
Ich bin mittelmäßig. Na und? Der Fortschritt besteht darin, dass ich dieser Tatsache inzwischen mit einem Hauch Heiterkeit ins Auge sehe. Manchmal kann ich heute auch meine Gaben sehen, auch wenn diese sehr speziell sind und im praktischen Alltag nicht soo häufig abgefragt werden ...
T., Hausfreund meiner Tochter, scheint ein Schwiegermutterseminar besucht zu haben. Vorgestern, als ich Pflaumen aus der Kühltruhe hole, spekuliert er hoffnungsvoll: „Hm! Pflaumenkuchen?!? Mein Lieblingskuchen!“ Diese charmanten Zweiwortsätze geben den Ausschlag, dass ich mich heute dahinter klemme, einen Pflaumenkuchen zu backen, anstatt die platt gedrückten Früchte den Hühnern zu geben. Hefeteig macht mich unsicher, er suggeriert mir immer, dass ich keine reife Hausfrau bin. Wir beide kennen uns nicht gut, wir treffen uns ähnlich selten wie Ulrike und ich. Was zur Folge hat, dass ich seine Liebessprache nur mangelhaft verstehe.
Ich maile Bil: „Bitte rück dein bewährtes Pflaumenkuchenrezept heraus! Ich hab die Pflaumen aufgetaut und will loslegen.“ Bil schreibt zurück: „Ich mach das immer Pi mal Schnauze, da steckt überhaupt nichts dahinter.“ Hausfrauen, die so leger Dinge aus dem Ärmel schütteln, wofür ich eine klare Regieanweisung brauche, machen mich fertig. Bil stellt ihr Licht unter den Scheffel und meint: „Ich bin keine gute Hausfrau! Ich bin überhaupt keine Hausfrau! Ich bin ein Erfinder.“ Sie glaubt wirklich, dass mir das weniger Angst macht. Erfinder stehen bei mir noch viel höher als Routine-Hausfrauen! Ich bin nämlich ein Anwender. Ein unkreativer Nachahmer ...
Abends ist der Teig locker aufgegangen, wie bei jeder anderen guten Hausfrau. Aber nun ist es zu spät zum Backen und so stelle ich ihn etwas ratlos in den Kühlschrank. Am nächsten Morgen ist er nur noch ein Schatten seiner selbst, ein fester Klotz, dem ich ohne viel Hoffnung das Wiedergutmachungsangebot „Fünfzig Grad Backofen“ mache. Aber er ändert seine Daseinsform nicht mehr. Ungläubig zerre und dehne ich ihn auf ein Blech, klatsche den Pflaumenmatsch darauf, ein paar gut gemeinte Streusel darüber. Das Ergebnis sieht klassischer aus als erwartet.
Als T. in die Küche kommt, schiebt er sich erfreut ein Stück Pflaumenkuchen in den Mund, bröselt einen neuen Zweiwortsatz („Hm, Pflaumenkuchen! Gut!“) und läuft grinsend weiter. Ich wachse zehn Zentimeter. In Wahrheit macht seine Mutter bestimmt den weltallerbesten Pflaumenkuchen ...
Da höre ich eine kleine Stimme in mir: „Sei nicht so unbarmherzig mit dir! Manches hast du doch gelernt! Deine Familie wird satt. Und sieh dir deinen Haushalt im Vergleich zu früher an! Geht doch!! Streiten hast du auch gelernt, wer hätte das gedacht? Und deine Hände können punktgenau mit der PC-Tastatur umgehen. Du bist ja nicht allein, in der Buchhandlung hast du acht Kolleginnen die dich ergänzen können. Daheim einen Mann, der dort begabt ist, wo du die größten Schwächen spürst. Eine handwerklich begabte, logisch denkende Tochter, die in seine Fußstapfen tritt. Eine weitere Tochter, die mitdenkt und dir zuverlässig hilft. Einen Sohn, der sich gemeinsam mit dir abmüht. Macht zusammen die funktionierende Einheit „Familie“. Und Gott ist geduldig mit dir, er geht sehr weit in seiner Loyalität und Liebe. Reicht doch!!
Hat Mittelmaß also Gutes?
Sie kann gesunde Demut erzeugen. Barmherzigkeit mit den Fehlern der anderen. Die Bereitschaft, sich ergänzen zu lassen. Und die Freude, von den Gaben der anderen zu profitieren. Reichlich viel, finde ich.
Auch Herausforderungen stecken im Grenzenspüren:
Seine Gaben kennen- und akzeptieren lernen, nicht klein reden, sondern dankbar dafür sein. Lob annehmen lernen. Die Grenzen realistisch zu erweitern versuchen. Im Land bleiben und sich redlich nähren, aber auch mal mit Gott über Mauern springen.

Jesus ist gestorben, um die Lücke zwischen dem, was ich bin und dem, was ich sein sollte zu überbrücken, also bleibe ich optimistisch.
(Adrian Plass in: Gesprengte Mauern)