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Du spielst in dieser Geschichte nicht die wichtigste Rolle. Es geht um Abram, den "erhabenen Vater", der Vater werden soll, obwohl er schon über 80 Jahre alt ist, kinderlos. Seine Frau Sarai kann keine Kinder bekommen.

Soll er ungesegnet sterben, soll die Verheißung Gottes nicht erfüllt werden? Je länger, desto brennender steht diese Frage im Vordergrund. Je länger, desto schwerer ist es zu glauben, dass Abram gesegnet sein soll mit großer Nachkommenschaft. Wird Gott die Ziele erfüllen? Gibt es noch Wege und Mittel?

Und bei diesen Fragen wurdest du wichtig, wichtig für Sarai als Ersatz- oder Leihmutter. Du solltest aus der Not der Unfruchtbarkeit heraushelfen. Und auch, wenn das damals eine akzeptierte Vorgehensweise war, so fühltest du dich benutzt. Du wurdest nicht um deiner selbst willen geliebt, sondern wie ein Gefäß hat Sarai dich verliehen. Dein Kind würde ihr gehören, dein Kind sollte die Schande ihrer Kinderlosigkeit beseitigen. Dein Kind war gefragt, damit ihre Familie nicht aussterben sollte.

Aber du und dein Kind, die Erwartung deines Kindes lösten nicht auf einmal alle Probleme. Verständlicherweise warst du stolz, Mutter zu werden. Verständlich war es, dass du dich nicht mehr als eine einfache Sklavin fühltest. Auf einmal schienen durch die Schwangerschaft, durch die Tatsache, dass du den lang ersehnten Nachkommen zur Welt bringen solltest, alle Verhältnisse verdreht zu sein. Aufgewertet warst du und du blicktest auf deine Herrin herab. Ehrlich gesagt, Hagar, das war vorauszusehen. Der Konflikt war nur natürlich. Sarai war unzufrieden und beschwerte sich. Sie ließ dich ihren Unmut spüren. Du musstest die niedrigsten Arbeiten verrichten und hättest dich so gerne mal ausgeruht. Als es dir zu viel wurde, bist du weggelaufen. Ich kann das verstehen.

Aber es war gefährlich für dich. In der Wüste warst du ohne Schutz durch die große Familie. Du hättest dich nicht alleine verteidigen und schützen können. Ob der Brunnen zum Überleben ausgereicht hätte?

Und dann passierte das Unerwartete: Und das ist das Überraschende und Spannende - und ich überlege, ob es mir auch so passieren würde: Du konntest gar nicht richtig weglaufen. Jemand hat dich beobachtet und dich nicht aus den Augen gelassen. Der Engel des Herrn hat dich gesehen und ist dir begegnet. Was dir in guten Zeiten nicht passierte, das ereignete sich in deiner größten Not. Gott sprach zu dir durch seinen Boten. Mit der Frage, die er an dich richtete, wurde deine ganze Situation deutlich: "Woher und wohin?" Standest du an einem Wendepunkt? Wurde nun endlich alles anders und neu? Gab es für dich neue Wege, Wege aus der Erniedrigung und Demütigung? Konnte es etwas anderes als Mühe und Arbeit, als Bestimmtwerden und Gehorchen geben? Tat sich hier ein neuer Raum auf, wo du Fuß fassen konntest?

Die Botschaft des Engels brachte dir ein Doppeltes: Sicherlich war das Erste eine Enttäuschung: Gehe zurück, bleibe Magd deiner Herrin Sarai - also doch kein Ausweg, keine Veränderung. Der Wunsch nach Selbstständigkeit zunichte gemacht? Sollte die Unterdrückung und Erniedrigung weitergehen?

Aber dann hörtest du Worte, wie sie eine Frau bis dahin nicht gehört hatte. Wie dem Abram, dem Vater deines Kindes, wurde dir eine große Nachkommenschaft verheißen. Wie ein Mann, ein zukünftiger Vater, wurdest du angesprochen. Sogar die Benennung deines Sohnes wurde schon geklärt. Und in all dem lag etwas ganz Besonderes, was du mit allen Fasern deines Seins begriffen hast: Gott hat zu dir gesprochen. In deiner größten Not hat er zu dir gesprochen. Du warst sein Gesprächspartner, er hat dich gehört, er hat geantwortet und dir einen ganz besonderen Platz angewiesen. Das Kind sollte dein Sohn sein, nicht Sarais Kind. Du solltest nicht nur eine Ersatzlösung, eine Leihmutter sein, sondern die Mutter eines großen Volkes werden - das hatte es noch nie gegeben. Und du warst überwältigt von der Begegnung mit Gott und wusstest ganz tief in deinem Herzen: Gott hat mich gesehen. Er hat zu mir gesprochen. Er meint mich.

Mit dieser großen Zusage, mit dieser großen Hoffnung in doppeltem Sinne konntest du zurückgehen. Nun konntest du alles ertragen, musstest keine mehr verachten. Nun ließ es sich neben/unter Sarai aushalten - denn dir war Gott begegnet.

Alles, was danach kam, erhielt seine Bedeutung von dieser Begegnung. Dieser Ort an der Quelle, der lebenswichtig war, wurde zum markanten Punkt nicht nur für dich.

Wie ein Lebensmotto, wie eine immer neue Lebenserfahrung wurde dann auch der Name deines Sohnes: Ismael. Wie oft hast du dich an die Bedeutung: „Gott erhört“, erinnert, wenn du ihn riefst. Und später, als du nicht selbst wegliefst, sondern endgültig weggeschickt wurdest, hast du es wieder erlebt: ER hört. Verachtet, weggeschickt, ein Erstgeborener ohne die Rechte der Erstgeburt, allein mit dir als Mutter in der Wüste - da hat ER wieder gehört. Blind vor Sorge und Traurigkeit konntest du erst auch den Brunnen nicht sehen, der zur Lebensquelle wurde. Aber ER hatte gesehen und gehört und wieder einen Weg gezeigt.

Deine Geschichte, Hagar, macht mir Mut. Natürlich können wir uns nicht genau mit dir vergleichen - aber oft genug gibt es Situationen, aus denen wir weglaufen möchten, bedrückt, unterdrückt, durch Menschen, Schwierigkeiten, Krankheiten. Reißaus, woher - wohin? Und da, so sagt es mir deine Erfahrung, ist dann endlich der Punkt, wo Gott mich zu packen kriegt, wo ich seine Stimme auf einmal wahrnehme, wo ich eine neue Platzanweisung erhalte, vielleicht zurück, aber mit der Gewissheit: ER sieht mich, ER hört mich, und mit einer ganz besonderen Verheißung begegnet ER mir. ER muss mir selbst dafür die Ohren öffnen, für eine neue Lebensquelle muss ER mir selbst die Augen öffnen, da ich wie mit Scheuklappen herumlaufe. Deine Geschichte schenkt mir Hoffnung, dass Gott immer noch neue Wege sieht, dass ER ungewöhnliche Wege zeigen kann, dass ER auch gegen unsere Wünsche Anweisungen geben kann, aber sie stellen sich immer als großartig heraus.

Vielleicht sollten wir einfach auch in guten Zeiten die Wüste aufsuchen als Ort der Stille, als Ort der Begegnung, dass wir den Brunnen suchen, der zur Lebensquelle geworden ist, an dem wir erleben: ER sieht mich, ER hört mich, ER hat einen Plan. Ich habe viel von dir gelernt, Hagar!

Almuth Germann