Fromme Hausfrau - Zeit für mich - Schreibwerkstatt - Erzählungen & Kurztexte - Dienstbotenstreik 



Seit Tagen schon lag etwas in der Luft. Bei Familie B. brodelte es gewaltig unter der Oberfläche, nicht immer, aber immer öfter. Mit ihren vier Kindern waren die Bs. eigentlich eine friedliche und harmonische Familie, nicht viel anders als die Familien um sie herum. Nun aber war es wie bei einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch: Zuerst herrschte eine trügerische Stille, dann kam es mitten in der Adventszeit zum Eklat. Alle Hausangestellten traten in einen eintägigen Streik.

Den Anfang machte die Köchin. Schon immer hatte sie sich darüber geärgert, dass keiner pünktlich zum Essen kam, wenn sie die Schüsseln dampfend auf den Tisch gestellt hatte. Jeder rief: „Komme gleich!“, wobei „gleich“ ein dehnbarer Begriff ist – manchmal war der erste mit dem Essen fertig, wenn der letzte endlich angetrabt kam. Das Fass zum Überlaufen brachte aber die älteste Tochter. Sie bezeichnete den mit Mühe zubereiteten Kartoffelgratin als „Schrott, den man nicht essen kann“ und verkrümelte sich ohne Mittagessen in ihr Zimmer. Die Köchin war gekränkt und beschloss, dass ihr ein Tag Pause gut tun würde. Sie nahm ihre Handtasche und ging. Sollten sie doch sehen, wie sie ohne sie zurechtkämen!!

Der Putzfrau ging es leider auch nicht viel besser. Sie war seit Wochen verstimmt: Immer gingen alle mit ihren Dreckstiefeln in die Zimmer, wenn sie beim Weggehen etwas vergessen hatten. Sie solle doch nicht so kleinlich sein, und es wäre ja nur „kurz“! Dabei übersahen sie großzügig, dass der Dreck aus den Stiefeln überhaupt nicht lange brauchte, um auf den Fußboden zu fallen, von wo ihn die Putzfrau regelmäßig wieder entfernen durfte. Den Ausschlag jedoch gab ein verklebtes Puddingschüsselchen, das neben einer verschmierten Kakaotasse nicht in, sondern auf der Spülmaschine stand. Eigentlich ist das ja eine Kleinigkeit – aber manchmal haben Kleinigkeiten eine große Wirkung. „Jetzt ist es genug!“, murmelte die entnervte Frau, rief eine Freundin an und verabredete sich mit ihr.

Der Nachhilfelehrer hatte eigentlich starke Nerven, die brauchte er ja auch zu seinem Job. Aber in letzter Zeit war auch er ein wenig dünnhäutig geworden. Vielleicht lag es daran, dass die dicken Probleme seiner Schützlinge mit Mathe oder Englisch grundsätzlich erst abends gegen halb neun auftauchten, wenn gerade sein Feierabend beginnen sollte? Brummelig machte er sich dann immer trotzdem noch ans Werk und konnte auch gut helfen. Aber einmal war es ihm dann doch zuviel: Bei einer etwas komplizierteren Matheaufgabe, die der Sohn der Familie lösen sollte, gab es zwei Lösungswege. Das wollte dieser  - sonst durchaus nette Junge! – nicht einsehen und maulte den Nachhilfelehrer trotzig an: „Ach, vergiss es, das kapierst du ja doch nicht!“ Der war zunächst sprachlos, dann so in seiner Ehre gekränkt, dass er für einen Tag seine Arbeit niederlegte. Er wollte etwas für seinen verkrampften Rücken tun.

Die Wäschepflegerin der Familie war eine gutmütige Person, die mutig den Kampf gegen die Flecken aufnahm. Seit einem Jahr hatte sie einen Wäschetrockner zur Verfügung – und  müsste nun doch eigentlich glücklich sein zwischen ihren Körben und dem Bügelbrett! Das war sie aber ganz und gar nicht. Sie fand ihre Arbeit nicht genug gewürdigt und das ärgerte sie gewaltig. So sollte sie nicht nur die Schmutzwäsche einsammeln und die Socken wieder auf rechts ziehen, damit man sie anständig waschen konnte, nein, sie musste auch noch in jeder Hosentasche nach Tempotaschentüchern, Münzen, Bonbonpapierchen u. Ä. suchen, damit die Waschmaschine nicht verstopft. Außerdem wurde sie schon morgens vor der ersten Tasse Kaffee dafür verantwortlich gemacht, dass irgendwelche Lieblingsunterhosen nicht zu finden waren oder der Lieblingspulli noch feucht auf der Leine hing.

Angesichts ihres Flick- und Bügelwäschebergs wollte sie sowieso schon verzagen – und in diese Stimmung hinein ertappte sie doch glatt die Tochter des Hauses, wie sie vier Pullover gleichzeitig in den Waschkorb steckte. Darüber hätte unsere Wäschepflegerin ja eigentlich glücklich sein müssen, aber sie sah auf den ersten Blick, dass es sich dabei keineswegs um schmutzige Pullover handelte, sondern um nur einmal getragene. Mit dieser Aktion ersparte man sich das mühevolle Zusammenfalten und hatte so ratz – fatz Ordnung im Zimmer. „So nicht!“, grummelte die Wäschepflegerin, knallte ihr Bügeleisen auf die Ablage und meldete sich für einen Tag ab. Sie wollte mal Zeit haben für sich – ohne Stinksocken und zerknitterte Herrenhemden.

So saß die Familie B. abends erschöpft am Esstisch. Es war für alle ein harter Tag gewesen, so ganz ohne ihr Personal. Das Haus sah entsprechend aus, das Essen kam aus der Dose, und keins der Kinder hatte seine Schularbeiten ordentlich gemacht. Dass auch keine Wäsche gewaschen worden war, fiel noch nicht auf, da hatte jeder noch einen Vorrat im Kleiderschrank.

Alle waren ziemlich bedrückt, nur die Jüngste krähte vergnügt in ihrem Stühlchen. In diese betretene Stille hinein fragte dann endlich eins der Kinder: “Papa, wann kommt denn die Mama wieder?“ „Mach dir keine Sorgen“, antwortete der Vater, „Mama ist nur mit einer Freundin ins Thermalbad gefahren. Sie wollte mal in Ruhe nachdenken und dabei noch etwas für ihren verkorksten Rücken tun!“

eingesandt von Claudia Bieneck