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Meine liebe Elisabeth,

es ist schon ein Weilchen her, da sagte mir eine Mutter - ihre Kinder sind ein wenig älter als ihr -, dass bei ihr zu Hause "die anderen" zur Zeit mehr als nur ein Wörtchen mitreden. Damals überlegte ich, wem sie wohl so viel Mitspracherecht einräumt. Den Großeltern? Den Verwandten? Nein, das passte gar nicht zu ihr! Inzwischen bin ich schlauer und weiß, wie es ist, wenn "die anderen" in den Blick kommen. Bei uns sind sie jetzt nämlich auch. Über Nacht werden sie ganz wichtig, fast wichtiger als Eltern und Geschwister. Da steht dann die eigene Familie auf dem Prüfstand und muss unzähligen Vergleichen standhalten. Das ist hart!  Und das ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Warum? Aus zwei ganz einfachen Gründen. Erstens: "Die anderen" sind immer in der Mehrzahl. Zweitens: "Die anderen" ist eine nicht zu fassende, schwammige Masse, die je nach Thema wechselt wie ein Chamäleon seine Farbe und nur durch mütterliche Nachfrage etwas schrumpft. Doch dazu noch später mehr.

Schon im Kindergarten hast du entdeckt, dass es zwischen den Familien kleinere und größere Unterschiede gibt. Ich habe mich darüber gefreut, denn das ist schließlich ein wichtiger Entwicklungsschritt im Kleinkindalter. So konnte ich solche Sätze wie "Mama, die Theresa hat eine ganz tolle Felixtasche!" oder "Du, bei Paul wird vor dem Essen gar nicht gebetet!" locker anhören. Mitunter sind solche Schlüssellochblicke in die Gepflogenheiten anderer Familien ja auch ganz interessant.

Aber mit steigendem Alter verändern sich die Sätze. Versteh mich richtig, ich finde sie immer noch wichtig für die Entwicklung und könnte sie mir immer noch schmunzelnd anhören, wenn  nicht ... ja was? Ja, wenn nicht "die anderen" immer "alle anderen" wären, und wenn die nicht alles dürften, kriegten oder bereits hätten.

So, jetzt ist es raus! Mich stören sie, mich als Mutter!! Wie ich dich kenne, möchtest du jetzt ein Beispiel haben. Kein Problem. Ich habe nach einem langen Tag mit euch vieren partout keine Lust mehr auf unbegrenzte Abendunterhaltung im Wohnzimmer, bloß weil "... alle anderen in meiner Klasse selber entscheiden dürfen, wann sie ins Bett gehen!". Vielleicht haben deren Eltern ein zweites Wohnzimmer? Oder schlicht keine Lust auf Debatten? Nebenbei: Einigen Kindern sieht man das Ergebnis dieser Großzügigkeit an, so bleich und hohläugig wie die durch den Tag schleichen. Ach, und dann gibt es noch "die anderen", die jedes Jahr mit dem Flugzeug verreisen (vielleicht quengeln die ja zu Hause rum, dass "alle anderen" nach Bayern auf den Bauernhof dürfen!!), mehr Taschengeld kriegen sowieso alle, und von toleranten Eltern scheint es ja nur so zu wimmeln.

Glaub ja nicht, dass das in meiner Schulzeit anders war! Da durften grundsätzlich auch "die anderen" alles. Den Kampf um eine Armbanduhr habe ich in der zweiten Klasse mit diesem zeitlosen Argument geführt. Deine Oma war damals auch etwas genervt und ließ mich die Uhrenbesitzer namentlich aufschreiben. Das war sehr lehrreich, denn seither weiß ich, wie schnell aus "allen" eine Handvoll werden kann. Zusätzlich verdanke ich dieser Liste die Erfahrung, dass bei solchen Dingen ganz schön angegeben und gelogen wird. Auf meinem Zettel standen noch fünf oder sechs Namen.

Ich gehe einfach mal davon aus, dass das heute nicht viel anders ist. Schau deshalb genau hin, wenn dir selber "die anderen " zu nahe kommen. Magst du dich überhaupt mit ihnen vergleichen? Ist dein Leben nicht einzigartig und oft nicht vergleichbar mit dem deiner Klassenkameradinnen? Falls du doch vergleichst, siehst du auch die Kinder, denen es schlechter geht als dir? Es gibt sie, hier bei uns und auch in anderen Ländern. Du weißt, dass mir der Blick zu diesen "anderen" immer sehr wichtig ist! Leider ist es zutiefst menschlich, sich mit denen zu vergleichen, denen es besser geht! Das ist übrigens bei den Erwachsenen nicht anders.

Du weißt, ich sage gelegentlich: "Wir sind wir und nicht die anderen!" und unterbinde damit manchen Vergleich. Weißt du, vieles lässt sich nicht vergleichen, jede Familie hat ihre Geschichte, ihren Stil, ihre Kinderzahl. Man kann von anderen lernen und gute Ideen übernehmen, Vergleiche sind nicht immer hilfreich.

Grundsätzlich ist dir das klar. Ich täte dir Unrecht, behauptete ich das Gegenteil. Das weiß ich umso gewisser, seit ich neulich morgens ziemlich genervt über eure Trödelei den  unpädagogischen Satz in die Runde geworfen habe: "Jetzt stellt euch nicht so an, andere Mütter sind seit sieben Uhr aus dem Haus, da muss das auch laufen!" Die Antwort kam prompt von deinem Bruder: "Du bist aber nicht andere Mütter!"

Eben!
Darüber freut sich ganz arg
deine Mama

eingesandt von Claudia Bieneck