Für mich gehört das Tagebuchschreiben zu meinem Leben seit vielen Jahren dazu.
Ich würde euch gern ein wenig mit hineinnehmen, warum ich gerne schreibe, welchen Gewinn ich daraus ziehe und wie es ganz praktisch gehen kann, dass es Spaß macht und man dran bleibt. Welche Hindernisse uns davon abhalten können und wie man sie überwinden kann.
Unser Leben besteht aus vielen Bereichen die miteinander verwoben sind, wo wir Aufgaben übernehmen, in Beziehungen stecken, Veränderung geschieht. Wir versuchen, die Welt und das Leben zu verstehen, es recht zu machen, das Gleichgewicht zu bewahren, zu wachsen, Krisen zu bewältigen, unseren Weg mit Gott zu gehen.
Bei all dem ist es eine große Hilfe, sich schriftlich auseinanderzusetzen mit seinen Gedanken und Gefühlen, seinen Sehnsüchten und Hoffnungen, Ängsten, Wut und Zweifeln. Das Schreiben leistet wertvolle Hilfe, die Puzzleteile des Lebens zusammen zu fügen.
Der Tagebuchkalender Mein Jahr, den ich herausgebe, bietet täglich einen klar umrissenen Rahmen, eine halbe leere Seite, vielleicht für manche eine Art Sprungbrett, endlich (wieder) Tagebuch zu schreiben. Ein Ort, um das Schreiben zu üben: Vorsätze zu notieren, Träume festzuhalten, Texte oder Bibelverse einzukleben, Worte zu sammeln die berühren, . Das würde mich freuen!
Seelenarbeit
Selten setze ich mich mit der Gewissheit hin, dass ich etwas Wichtiges zu schreiben habe. Meist schreibe ich erst einmal ganz lapidar und unzensiert all die Dinge aus mir heraus, die in mir herumwuseln. Oft wird mir erst beim Schreiben bewusst, was ich denke und fühle, wo Probleme liegen, verborgene Bedürfnisse. Dadurch lerne ich mich besser verstehen.
Jäger und Sammler
Ein Grund, warum ich seit ich 13 bin Tagebuch schreibe ist, dass ich so gern lebe. Seit ich denken kann wundere ich mich darüber, wie die Zeit zerrinnt. Ich schreibe aus der Sehnsucht heraus, Erlebtes festzuhalten. Mein Tagebuch vermittelt mir das tröstliche Gefühl, dass wertvolle Lebenszeit ein Stückweit der Vergänglichkeit entronnen ist. Es ist wie eine große Schatzkiste, in der ich alles sammle, was mir wertvoll ist - Erlebnisse, Gedanken, Gefühle und Entwicklungen. Selten habe ich das Bedürfnis, alte Notizen noch einmal vorzukramen. Meistens genügt mir die Gewissheit, dass manches fragmentarisch darin festgehalten ist, um bei Bedarf ans Licht geholt zu werden.
Lebenshilfe
Tagebuch schreiben ist wohltuend und entlastend. Es weckt die Sinne für seelische Vorgänge und regt innere Prozesse an. Wenn ich mich schriftlich auseinandersetze mit meinen Sehnsüchten und Hoffnungen, Wünschen und Ängsten, Sorgen und Zweifeln, mit Wut, Traurigkeit und Verzweiflung, komme ich deutlich besser mit dem Leben zurecht.
Beim Schreiben kann ich Dampf ablassen, ohne Schaden anzurichten, mich dafür rechtfertigen zu müssen oder andere zu verletzen. Hier kann ich mich ausweinen und meine wilden spontanen Gefühle abladen.
Wenn ich emotional tief in etwas drinstecke, ist das schriftliche Nachdenken für mich der beste Weg, Abstand zu gewinnen. Oft kann ich anschließend wieder klarer denken.
Ich schreibe also nicht nur, um Schönes festzuhalten, sondern auch um Hässliches loszuwerden, Durcheinander Geratenes zu sortieren. Das schafft Ordnung in meinem Gefühlsleben und dadurch auch in meinen Beziehungen.
Gefühle bewusster erleben
In meinem Elternhaus redete man nicht über innerste Angelegenheiten. Gefühle waren etwas Intimes, Peinliches, die musste man im Griff haben. Das Tagebuchschreiben hat mich darin geschult, meine Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Es hat mir geholfen, mich zu öffnen und ehrlich mit meinen Gefühlen umzugehen, auch, Gefühle tiefer zu erleben und leichter zu überwinden.
Beim Tagebuchschreiben üben wir, uns nicht alles vordenken zu lassen, sondern uns selbst auszudrücken. Oft merkt man beim Schreiben erst, wo die Gedanken hängen bleiben oder sich im Kreis drehen. Gönnen wir uns den Luxus, eigene Gedanken zu Ende zu denken. Tagebuch schreiben ist nicht langweilig.
Nachlese
Zu dem, was man aufgeschrieben hat, kann man immer wieder zurückkehren. Geschriebenes bleibt eher haften. Ich lebe mein Leben bewusster durch das Nach-Denken, Nach-Erleben. Manchmal halte ich am Jahresende Rückblick. Das ist eine schöne Übung. Ich wandere mithilfe des Tagebuches noch einmal quer durch die vergangenen Monate, um aufzuspüren, was der rote Faden dieser Zeit war, was gut lief, was weniger gut, was ich ändern möchte, wo neue Gewohnheiten einüben. Im Rückblick wird manches in meinem Leben besser verständlich. Dankbarkeit wächst, und Erkenntnis. Danach gehe ich aufgeräumt und mit leichterem Gepäck ins neue Jahr.
Entscheidungshilfe
Wenn das Leben viele Möglichkeiten hat und es mir schwer fällt mich zu entscheiden, hilft mir das schriftliche Sortieren. Wenn ich Für und Wider sichtbar mache, fällt mir die Entscheidung leichter. In meinem Tagebuch kommt es immer wieder vor, dass ich Pläne schmiede und Ziele festlege. Beim Schreiben kann ich meine Lebensprioritäten überprüfen und Ziele immer wieder neu formulieren.
Rückzugsort
Das Schreiben hilft mir, meine Lebensgeschwindigkeit zu drosseln. Die Gedanken entwickeln sich langsamer aber gründlicher.
In meinem turbulenten Leben ist das Tagebuch für mich ein Stück Heimat geworden, ein Ort, an dem ich meine Seele besuchen kann. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich an Tagen, die besonders geschäftig sind, zur Ruhe komme und meine Mitte wieder finde, wenn ich ein paar Sätze schreibe.
Seelenreise zu sich selbst
Das Tagebuchschreiben ist wie eine Forschungsreise zu den Bereichen unseres Menschseins, die wie bei einem Eisberg unter der Oberfläche verborgen sind. Es hilft, die tieferen Schichten unseres Seelenlebens an die Oberfläche zu bringen. Das Tagebuch hilft, herauszufinden, wer wir neben all den Rollen, die wir spielen und den Masken, die wir tragen, wirklich sind.
Hindernisse
„Meine Gedanken sind nicht so wertvoll, dass man sie festhalten müsste“ - diese Schreibhemmung hängt eng zusammen mit Totschlagsätzen wie „Ich kann nicht schreiben“ oder „Für mich ist es zu spät anzufangen“. Hinter dieser Haltung steckt die Sehnsucht, bedeutend und vollkommen zu sein. Man glaubt, man habe nur dann etwas zu schreiben, wenn man sich hervorhebt. Man sehnt sich danach, wichtig zu sein, darum möchte man Bedeutsames schreiben.
Aber diese Bewertung gibt es nur in unseren Augen. In Gottes Augen ist der Bemerkenswerte genauso ein Tropf oder Schatz wie der angebliche Nichts.
Niemand ist ein Niemand. Jeder hat etwas zu schreiben! Jeder ist originell, der die Wahrheit spricht. Es ist nie zu spät, anzufangen, besser spät als gar nicht, es gibt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Perfektionismus ist ein Dieb. Wer zulässt, dass Selbstzweifel ihn entmutigen und zum Verstummen bringen, verhindert, was vielleicht hätte sein können.
Wir schreiben ein persönliches Buch. Hört auf die leise Stimme in eurem Innern und versucht nicht, es eurem Deutschlehrer von vor zwanzig Jahren Recht zu machen!
Ich bin mir sicher, dass enorme Schreibblockaden irgendwo in der Kindheit wurzeln, als ständig jemand hinter uns stand, der rügte, verbesserte und entschied, was richtig und gut ist .
Niemand sieht uns dabei über die Schulter. Niemand prüft die Qualität. Wir bekommen keine Noten für Rechtschreibung, Ausdrucksweise, Stil oder Grammatik. Es muss kein Meisterwerk produziert werden. Wir müssen niemandem – nicht einmal Gott und sich selbst – imponieren! Nur Ehrlichkeit ist eine Voraussetzung, die für ein Tagebuch wirklich wichtig ist. Jeder der denken kann und das Schreiben gelernt hat, kann Tagebuch schreiben!
Lasst euch sich nicht von den leeren Seiten einschüchtern. Ihr findet eure eigene Form des Lebens-Ausdrucks! Habt den Mut, über die kleinen Schritte der Lebensreise zu schreiben, selbst wenn sie nicht zusammenhängend und zufällig zu sein scheinen. Alles andere wird sich von selbst ergeben.
Später könnt ihr dann die Diamanten aus dem Staub herauslesen. Euer Tagebuch ist ein Ort, an dem ihr die Puzzleteile eures Lebens sammeln könnt.
Schreibt drauflos, klebt ein, Telefonnotizen auf Haftzetteln, Eintrittskarten fürs Kino oder Fotos. Versucht in ein zwei Sätzen zu erklären, was euch daran wichtig ist. Gebt den „Fragmenten“ eures Lebens eine persönliche Note. Die einzelnen Teile werden sich zu einem Mosaik zusammenfügen.
Viele meiner Tagebucheinträge sind einfach nur eine Reaktion, ein Tasten, ein Gefühl, ein Fragen, ein Stammeln, Schreien, Weinen, eine Erinnerung oder ein Gebet. Viele meiner Einträge wären nie geeignet veröffentlicht zu werden und sind mir peinlich beim Lesen. Aber hätte ich nicht die Gewohnheit, regelmäßig zu schreiben und unzensiert zu sammeln, hätte ich auch die kleinen Alltagsoffenbarungen verpasst.
Ich habe keine Zeit
Im Grunde genommen nehmen wir uns Zeit für alles, worin wir einen Gewinn sehen. Wenn wir erleben, wie wertvoll etwas ist, wollen wir es tun, wollen wir uns Zeit dafür nehmen. Wir tun es einfach.
Das Tagebuch soll nicht zu einer weiteren lästigen Pflicht werden, die uns stresst und Zeit verschlingt. Man kann die Sache auch anders angehen. Macht das Tagebuch doch einfach zu einem treuen Begleiter. Versucht ein paar Sätze zu schreiben, wenn ihr eine Tasse Kaffee trinkt oder im Wartezimmer sitzt. Statt das Tagebuch als etwas zu betrachten, was viel Zeit kostet, könnt ihre es als Vertrauten und Gefährten ansehen.
Angst
Manche Menschen haben schlicht und ergreifend Angst – weniger vor dem Schreiben selbst, sondern vor dem, was durch das Schreiben ausgelöst werden könnte. Es kann ängstigen, seinem innersten Wesen zu begegnen. Ist es aber im Grunde nicht viel beunruhigender, den Weg durch das Leben weitgehend ohne Reflexion zu gehen und womöglich an einen Punkt zu gelangen, wo die Dinge unter dem Teppich so anwachsen, dass sie zu bedrohlichen Stolperfallen des Lebens werden?
Das Tagebuch schreiben ist wie das Besteigen eines Berges. Erst verdeckt Dickicht und Unterholz jede Sicht. Wenn man eine Weile weitergewandert ist, erhält man aber eine großartige Panoramasicht über die Gegend und gewinnt eine völlig neue Perspektive dafür, woher man kommt und wo man lebt. Im Alltag ist so davon in Beschlag genommen, sein Leben zu meistern. Tagebuchschreiben ist wie eine Wanderung der Seele auf einen Hügel, wo wir einen weiten Blick auf unser Leben erhalten.
Fragen zum Anschubsen, um sich denkend auf die Spur zu kommen
• Was hat mir am vergangenen Tag besonders Freude gemacht und warum?
• Womit bin ich besonders zufrieden?
• Wo habe ich ein ungutes Gefühl, hat mich etwas ärgerlich gestimmt, habe ich „Mist gebaut“?
Warum?
• Wem bin ich begegnet? Wie war die Begegnung? Welches Gefühl habe ich im Nachhinein?
• Wofür bin ich heute besonders dankbar? Welche „Geschenke“ habe ich bekommen?
• Das alles kann mir zum Gebet werden … Lob, Bitte, Dank…
• Was sind meine Schätze?
• Welche Oasen kann ich in meinen Alltag einbauen, was ist realistisch?
• Was mag ich an mir?
• Was sind meine Neigungen, Stärken, Gaben? Worin bin ich richtig gut?
Wofür ernte ich am häufigsten Lob?
• Was sind meine Sehnsüchte, Träume?
• Was ist meine Botschaft?
• Was glaube ich was Gottes Vision für mein Leben sein könnte?
• Was will ich mit meinem Leben erreichen?
• Was möchte ich in den nächsten fünf Jahren erreichen?
• Wer bin ich in den Augen der anderen?
• In meinen Augen?
• Was ist meine Geschichte mit Gott?
• Was fehlt mir zutiefst? Wenn ich die Möglichkeit hätte,
in meinem Leben etwas zu ändern, was würde ich ändern?
• Wo stecken meine größten Schwierigkeiten?
• Wie kann ich darin wachsen, was kann ich ändern?
• Was ist mir gelungen in meinem Leben?
• Was mache ich am liebsten, wenn ich Raum dafür habe?
• In welchen Prozessen stecke ich gerade?