Liebe September-Frauen,
am Samstag sind wir aus dem Urlaub aus Holland zurückgekehrt. Als ich neugierig noch nachts um 24 Uhr meinen PC öffnete, begrüßten mich viele freundliche Zeilen, u.a. auch diese hier:
Liebe Bianka, deine Homestory zeigt noch die Bilder deiner Kinder von 14, 12 und 9. Was ist denn mittlerweile aus deinen Kindern geworden? In deinem letzten Buch "40 werden immer nur die anderen“ haben mich die Beschreibungen zu dir und deinen Kindern immer besonders interessiert (habe jetzt auch eine Tochter von 12). Konnte oft Gemeinsamkeiten erkennen. Was die Pubertät alles zu "bieten" hat... Würde mich freuen, noch mal einen Newsletter von dir zu bekommen, wie ihr euch so "entwickelt" habt...
Neue Fotos, das stimmt, wären längst fällig. Wir besitzen jetzt eine Digitalkamera, vielleicht kriegen wir das diesmal ja selbst hin, ohne Termin vom Fotografen. Aber von uns erzählen, das kann ich gern und schnell. Ich fange am leichtesten bei mir an:
Dieses Jahr war bis zum Schluss unklar, ob wir wie seit zehn Jahren nach Holland fahren würden wegen des Tiefdruckgebietes und unseres späten Urlaubstermins. Wir hielten es uns offen, renovierten bis zum Tag der Abreise unser zerfallenes Hoftor und die Fensterläden, packten dann völlig unkoordiniert den uralten Faltcaravan (ein Anhänger, den man zum Zelt ausklappen kann). Keiner hatte den Überblick, wir waren ein ziemlich kontraproduktives Team. Der Packstress war schließlich so groß, dass ich mich fragte, ob er noch im Verhältnis zum Gewinn von Urlaub stand. Die Frage beantwortete sich bereits am dritten Tag: Ja!
Alle Kinder waren mitgefahren inklusive der Freunde von Anna (18) und Lena (16) als Zeltnachbarn. Ich war bis zu Schluss fasziniert und beschenkt darüber, dass die Mädchen noch mit uns reisen wollten. Sie sind wie wir völlig verliebt in diese holländische Insel. Wir fuhren im Konvoi, Anna hinter uns, seufzend: „Das ist kein aufregender Pionierurlaub, das ist nach Hause kommen.“ Wir hatten Glück mit dem Wetter, überlebten Windstärke 7 und nächtlichen Regenfall von 80 Liter/Quadratmeter unbeschadet, hatten tagsüber passables bis gutes Wetter, spielten mit den Jugendlichen tags Volleyball und nachts Rommee und mit Jan, mit dem wir viel zu dritt unterwegs waren, Kniffel. Wir erholten uns. Der Abstand von zu Hause wurde groß und immer größer und ich tat nicht viel mehr als nichts. Schlechtem Wetter begegneten wir gruppendynamisch mit stundenlangem Geblödel, Gesprächen, Kartenspiel und dem Motto „Besser als gar kein Wetter“. Gutem Wetter mit dem Motto „Herz was begehrst du? Meer!“. In Burgh Haamstede gibt es die weißesten feinsandigsten Strände Europas!
Meine Seelenlage ist seit meiner Krebsoperation immer noch verändert. Durch den Krebstod eines Freundes vor zwei Monaten ist in mir vieles wieder aufgebrochen. Kurz vor der Abreise hatte ich eine Nachuntersuchung - mit beruhigendem Ergebnis. Soweit alles in Ordnung. Warum beruhigende Ergebnisse nicht beruhigender auf mich wirken, bleibt mir schleierhaft. Allerdings weiß ich genau, wie beunruhigend ein beunruhigendes Ergebnis gewesen wäre... Einigermaßen beruhigt lag ich dann morgens bei Wind und Sonne im Liegestuhl und dachte an nichts Beunruhigendes, als ich plötzlich die Stimme meines operierenden Arztes hörte: „Es war ein Karzinom. Wir mussten die ganze Schilddrüse entfernen“. Ich bin ganz schön abgestürzt. Ich hatte mir vorgenommen, im Urlaub in der Bibel den Galaterbrief zu lesen. An diesem Morgen las ich nur einen Satz, danach schlug ich die Bibel still und mit Frieden auf der Seele wieder zu. „Ich muss mich wirklich wundern, dass ihr so schnell bereit seid, euch von Gott abbringen zu lassen, der euch doch in seiner Gnade durch Jesus Christus das neue Leben geschenkt hat.“
Es geht mir also gut, aber anders, und immer wieder mal ringe ich um eine gute Haltung.
Vielleicht muss man so eine innere Verletzung oft und immer wieder ansehen, damit sie heilen kann. Geholfen hat mir dabei auch der Krankheitsaufsteller, den ich beim Brockhaus-Verlag herausgegeben habe. Ich habe darin Gedanken und Gefühle, Bibelverse und Worte, die mir geholfen haben, als meine Seele verzagt war, festgehalten und mit Fotos kombiniert. Bei der Arbeit daran bin ich wieder und wieder durch die Tage meiner Krankheit gegangen. Der Titel des Aufstellers ist gleichzeitig mein Resumee aus dieser Zeit: „Ich halt mich fest an dir“. Als das abgeschlossen war, konnte ich mir vorstellen, noch einmal ein Buch über mich und uns zu schreiben. Das will ich im Herbst in Angriff nehmen. (Komischer Ausdruck...)
Als Paar geht es uns gut zur Zeit, wobei Werner etwas mehr als ich gerüttelt scheint durch die Begleiterscheinungen der vielen Teens um uns herum (Ständiges Quietschen der Kühlschrank- und Backofentüren, seltsame Geräusche aus mehreren CD-Playern des Hauses, ewiges Gekicher und Gebrülle, wenn die Freunde der Mädchen da sind, Chauffeurdienste und nächtliches Warten auf Heimkehrerinnen). Mir ist allzeit bewusst, dass dies eine vergängliche Phase ist, der eine ruhigere Zwei- bis Dreisamkeitszeit folgen wird, eine Vision, die Werner irgendwie anziehend findet... Die Sache mit dem Reiten hat sich gefestigt, besonders Werner schöpft daraus viel Entspannung, und uns als Paar sind diese Zeiten, wo wir nebeneinander schweigend oder laut sinnierend herreiten, sehr wertvoll geworden. Für mich bleibt es nach wie vor eine ordentliche Herausforderung, macht aber auch total Spaß. Die Mädchen reiten beide nicht mehr...
Anna hat ein soziales Jahr in einem Krankenhaus und den Führerschein gemacht und ist zwar nicht mehr äußerlich (1,65 m) aber dafür umso mehr innerlich gewachsen. Im Urlaub dachte ich manchmal: Wer ist diese Frau da neben mir? Sie wird ein Praktikum in einem Altersheim anhängen und im April die Ausbildung zur Krankenschwester beginnen. Dieser eher praktische Lebensweg, den sie nach der Schule eingeschlagen hat, hat sich als der richtige erwiesen. Lena wurde im Januar an Arm- und Handgelenk operiert, wo sie seit einem Bruch vor vier Jahren Verformungen und chronische Schmerzen hatte. Sie hat nun eine 12 cm lange Titanplatte in der Elle. Die mehrstündige OP war der vierte Eingriff und endlich erfolgreich. Ansonsten hätte sie ein künstliches Handgelenk gebraucht. Entsprechend froh sind wir, dass sie endlich schmerzfrei und wieder beweglich ist. Ein Jahr lang darf sie noch keinen Sport machen, aber sie hat wieder mit dem Saxophonunterricht begonnen (dabei gleich den Lehrer und die Stilrichtung von Klassik auf Pop und Jazz gewechselt). Nächstes Jahr beendet sie die Realschule und möchte dann auf eine weiterführende Schule gehen. Im Gegensatz zu Anna hat sie Spaß an Theorie und Ehrgeiz im Lernen. Nach wie vor sind die zwei außen und innen grundunterschiedlich. Ich werde das mit den Fotos wirklich anpeilen...
Jan ist 13 und kommt in die 6. Klasse der Schwerhörigenschule Heidelberg, wohin er mit dem Bus transportiert wird. Im Juli war ich mit ihm eine Woche in einem Therapiezentrum, um neue Impulse für seine Förderung zu erhalten. Durch die Mundübungen, die er dort gelernt hat (oft mit Pusten verbunden), hat sich leider die dünne Schicht in seinem operierten Trommelfell wieder geöffnet, so dass ich befürchte, dass er wieder operiert werden muss. Sprachlich ist er vom Verständnis her nun so weit, dass er Sams-Bücher lesen kann, mit verständlicher Aussprache und Freundschaft tut er sich immer noch schwer. Er ist viel behinderter als gesunde Gleichaltrige und viel fitter als viele gleichaltrige Behinderte. Er hat viel Freude im Leben durch die Tiere, mit denen er aufwächst und findet immer wieder Menschen, die ihm wohlwollend gesonnen sind. Letztes Jahr hat er schwimmen gelernt, seither geht er Montags schwimmen. Mittwochs geht Werner mit ihm kicken, Fußball ist immer noch Jans Leben. Freitags gehen Anna und Lena mit ihm in den Jugendtreff unserer Gemeinde, wo Jan gut integriert ist. Sowieso ist die Gemeinde ein Glücksfall für ihn. Vor dem Urlaub war er mit Lena zusammen auf einem Jugendsommercamp, was ihn gefördert und herausgefordert hat und worüber wir uns sehr gefreut haben.
Wenn Mein Jahr erscheint, werde ich mich wieder bei euch melden.
Sonnige Septembergrüße
Bianka Bleier